Köhder – Köhder

Cooks Records
Graz 2021

Ich hörte die Band live im tube’s, dem kleinen Jazzclub, der die benachbarte ehemalige Generalmusikdirektion zu ersetzen versucht. Der Venue mag vielleicht irreführend sein, denn KÖHDER ist eine Grazer Indie Rockband. Seit ihrem hier vorliegenden selbst betitelten Debütalbum und als Warmup für „Bilderbuch“ nicht mehr gänzlich unbekannt, basteln die vier Mannen bereits an einem zweiten Album.

KÖHDER sind Valentin Aigner am Bass, Florian Köhler Gesang und Gitarrre, Raphael Meinhart am Schlagwerk und der vielseitige Bernhard Neumaier, Posaune und diverse Tasten. Damit wird mir klar, warum mir zwei der Gesichter so bekannt vorkamen. Des Sängers Brotberuf ist Schauspieler am Grazer Schauspielhaus, den Schlagzeuger kenne ich als virtuosen Marimba-Spieler aus der Postgarage.

25. März 2022

Eine Rockband also, die zur Hälfte prominent besetzt ist und deutschsprachige Lieder entbietet, die allesamt von Florian Köhler getextet und komponiert wurden. Nur ein Schauspieler kann sich so viel schrägen Text merken und mit geübter Stimme rezitieren. Der Zuhörer ist manchmal überfordert, denn leider findet man keine Lyrics zum Mitlesen.

Die Lieder sind ausgetüftelt von Bernhard Neumaier mit produziert, rhythmisch dank Raphael Meinharts präzisem Beat, der auch seine Marimba einspielt, und das Album Artwork ist von Valentin Aigner, womit jeder der Vier sein Schärflein zum KÖHDER Debüt beigetragen hat. Die vier auf der CD Hülle abgebildeten älteren Herren sind es jedenfalls nicht. Scherzkekse.

Eure Väter?!

1zu1 – ehrlich

ATS Records
Molln 2022

Das Album des Linzer Duos wurde mir digital zur Besprechung geschickt. Es kam zu einer Zeit, wo es tagtäglich Releases nur so regnete, weshalb es etwas liegen blieb. Als ich es öffnete, war darin nur einer von 14 Titeln, aber der interessierte mich ausreichend, um es auf einem Tonträger zu bestellen.

Doch wer sind 1zu1? Gudrun Rubini und „St. Ananas“ zeichnen für alle Songs verantwortlich, mit musikalischen Helfern nur auf den Tracks „zuhause“ (Harald Zuschrader, Mitbegründer von „Eela Craig“, von der Band hab ich zwei LPs) und „wíe der wind“ (Ronald Iraschek alias Ronnie Urini und Christian Brand). Diese minimalistische Besetzung sagt einiges, wie auch die Liebe für Pseudonyme.

Die Künstler selbst nennen „Sex, Rock und Liebe“ als die Zutaten zu ihrer Musik und ich kann mir vorstellen, dass Zuhörer bei einigen Songs durchaus guten Sex haben könnten. 1zu1 geben aber zu, dass das Album auch Spuren von Moral und Kritik enthalten könne. Welchen Reim soll man sich darauf machen? Hören wir also rein.

Solider Pop Rock ist das Genre, die Lyrics sind auf Deutsch und würden ein Leaflet vertragen, weil sie manchmal verwaschen klingen. „lass dich doch küssen“ ist eine Anleitung zu Oralsex und ein guter bonking-song / l’amour hatscher. „ich bin ich“ wird etwas schneller und rockiger. „zuhause“ hat Schlager Qualität und kann mit leichter Schräglage auch am Wirtshaustisch gegrölt werden. „halt mich“ ist endlich eine moralische Manifestaion: halt mich fest und lass nicht los … nie wieder, nie wieder, nie wieder.

„motorbootverbot“ erinnert entfernt an eine Verschmelzung von Kurt Gober mit Peter Weibel. Die besten Songs sind schon geschrieben, behauptet der 6. Track. Darauf folgen in unterschiedlichsten Ausführungen weitere Nummern, bis „ehrlich“ nach einem schönen Südseetraum abrupt mit einem digitalen Weckruf verstummt.

Nun will auch ich ehrlich sein. Radioplay und Plattenverkauf wird wohl bescheiden ausfallen, aber ohne das Duo zu kennen kann ich mir sehr gut vorstellen, dass 1zu1 gut und gern live Konzerte in Oberösterreich spielt und dort seinen Fanklub findet.

Moritz Weiß – Vocal Klezmer Sounds

Preiser Records
Wien, 2021

Moritz Weiß, Georg Kroneis, Stefan Steinhauser, Maximilian Kreuzer und Momentum Vocal Music

Der Klarinettist Moritz Weiß gilt als der Inbegriff von steirischem „Klezmer“, den er mit seinem Trio in jiddischer Tradition, durchmischt von contemporären Experimenten sehr lebendig darbietet. Dieses Album fällt aus der Reihe, greift es doch auf die mittelalterliche Musik der Hildegard von Bingen zurück. Ein derartig multikulturelles Oratorium bekommt man selten zu hören, obwohl mir Musiker einfallen, auf die man durch unkonventionelle Kollaborationen aufmerksam wurde. Jan Garbarek sei erinnert mit Officium, einer Fusion von Jazz mit Gregorianischem Gesang. Ähnlich geheimnisvoll mutet diese 54:55 lange Komposition in drei Sätzen an, die vor allem durch die Stimmen von Momentum Vocal Music verzaubert.

Ursprünglich bezog sich der Begriff klezmer auf die Musiker. Erst seit der Wiederbelebung dieser Musik in den USA in den 1970er Jahren wird der Begriff zur Bezeichnung der musikalischen Stilrichtung verwandt. Bis dahin wurde diese Musik zumeist „jiddische“ Musik genannt. Unter Klezmer versteht man vorwiegend instrumentale Musik. Daher ist „Vocal Klezmer Sounds“ eine Ausnahme mit Seltenheitswert. Kein Lebender weiss, wie sich „Alte Musik“ anhörte, man kann sich nur aus Überlieferungen und den Instrumenten der Zeit eine vage Vorstellung davon machen. Dem künstlerischen Leiter Simon Erasimus scheint das gelungen zu sein.

Die Besetzung: Moritz Weiß – Klarinette, Komposition, Georg Kroneis – Viola da Gamba, Stefan Steinhauser – Gitarre, Maximilian Kreuzer – Kontrabass, Momentum Vocal Music – Stimmen.

Gerald Ganglbauer

Opus – Magnum

Opus Music Publishing
Gratwein-Straßengel 2020

Rund 40 Jahre nach „Eleven“ erscheint wieder ein substantielles Album des steirischen Erfolgsunternehmens.

„Mit unserem 16. Werk, einem einerseits kreativen Future-Ausblick und einem andererseits mit vielen emotionalen Erinnerungen verbundenen History-Rückblick wollen wir uns nach 40 Jahren von der Rock & Pop-Album-Szene verabschieden,“ schreiben die vier Mannen im aktuellen Doppelalbum, wobei ich mich frage, wo die anderen Platten geblieben sind, die mit ihrem Debütalbum „Daydreams“ (1980) und der bis heute unübertroffenen LP „Eleven“ (1982) den typischen Opus-Sound festgelegt haben. In der Hauptsache war es der hohen Stimmlage des 1979 per Inserat gefundenen Lead Singers Herwig Rüdisser zu verdanken.

On the Road to Austria Rock

1973 gründete der Ex-Sängerknabe Walter Bachkönig eine Garageband mit Ewald Pfleger und Kurt René Plisnier und die spielten landauf landab das Burgenland und die Steiermark. 1977 war ich im Schlosspark von Kohfidisch beim ersten großen dreitägigen und völlig verregneten Open Air Festival, dort sind Opus noch in der Urbesetzung aufgetreten. Zum von Opus 1978 selbst organisierten Austria Rock Festival in Pinkafeld nahm ich schon ein paar Freunde im Renault 12 mit. Wir teilten uns den Sprit aber fuhren den Tank dennoch leer und schliefen im Acker bis die Tankstelle aufsperrte. Nach der Matura studierte ich Verfahrenstechnik an der TU um die Welt zu retten. Beim Besuch aller erreichbaren Jazz, Rock, Blues und Folk Festivals lernte ich unter anderen Bands auch Opus aus nächster Nähe kennen. Die unkonventionelle Lebensart der Musiker fand ich sehr attraktiv, weshalb ich von der Technik an die Uni wechselte um Kulturjournalist zu werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mit 18 der Rockmusik auf der Spur

1984 gelang Opus dann mit „Live is Life“ eher zufällig ein Welthit, den die Spatzen auch heute noch überall von den Dächern pfeifen und der Jahr für Jahr ein schönes Sümmchen an Tantiemen beschert. Geld hat offenbar träge gemacht. Nach einer mit Outzeiten durchlöcherten Periode und Alben, an die sich nicht mehr viele erinnern, weil jeder bei der Erwähnung der Band automatisch „Na – na, na – na – na, all together now“ im Ohr hat, ist ihnen mit „Magnum“ wieder ein sehr solides Album gelungen. Vielleicht hat die Pandemie gedrängt, an die Altersvorsorge zu denken.

Tonight At the Opera Stimme und Moderation Herwig Rüdissser
Mastermind Ewald Pfleger und Tastenguru Kurt René Plisnier

Aber zurück zu „Magnum“. Während sich in 40 Jahren meines Lebens die Welt nicht nur geografisch mehrmals verändert hat, hören sich die neuen (FUTURE) Opus fast so an wie die alten (HISTORY) Opus. Ich hatte die Band für gut 20 Jahre aus dem Radar verloren. Auch der Großteil der Fans beim letzten Konzert in der Grazer Oper war etwa im Alter rund um die Pensionierung, wie Herwig Rüdisser in seiner launigen Moderation feststellte. Gibt es keine Evolution im Austropop? Stirbt die Generation mit dem Retrosound in einer sich verdünnenden „Opusphere“ (Titel Track 1) langsam aus?

Paul Pfleger beim Goodbye Concert 2021

Das wird wohl erst die nächste Generation beantworten können. Ewald Pflegers Nachwuchs ist ein gutes Beispiel. Hören wir also zu, wie Paul in die Zukunft rockt.

Jütz – Süsse Stille

SCHÖKI
Bern 2021

Jütz © Nyima Sauser

Die Nachhaltiglkeit aus dem Genuss von 75 Gramm Schweizer Schokolade stellt sich erst dann ein, wenn man seine Augen wieder öffnet und der Gaumen die Sinneswahrnehmung an die Ohren freigibt, sofern man den QR-Code vom SCHÖKI schon gescannt und sich das neue Album von Jütz heruntergeladen hat. Man könnte meinen, dass es hier bloss um Marketing ginge, wie man es hierzulande von Zotter Schokoladen beim steirischen herbst gewohnt ist, aber das stimmt nicht: „Süsse Stille“ erscheint tatsächlich nur als Stream/Download auf Schweizer Bio Schokolade der Firma SCHÖKI. Originell, denn ich bin überzeugt davon, dass man Vinyl nicht essen kann.

Die SCHÖKI war schnell weg, das Album wird in der stillen Zeit wohl noch öfter in meiner Playlist aufscheinen. Es ist Winter ohne Kitsch, weisser Neuschnee, ein bisschen Jazz, ein wenig Volkstümliches, ganz wie man es von einem Trio aus der Schweiz und Tirol erwarten darf. Hausmusik vom Feinsten.

Jülz sind Isa Kurz (Akkordeon, Hackbrett, Violine, Stimme), Philipp Moll (Kontrabass, Perkussion, Stimme) und Daniel Woodtli (Trompete, Flügelhorn, Perkussion, Stimme) und wie die Instrumentierung vermuten läßt, bestens ausgestattet für besinnliche Klänge.

„Süsse Stille“ ist das dritte Album des Ensembles und alle Stücke, – das kann man ganz ohne ärztliches Attest behaupten, – wirken pulssenkend. Sie lassen eine innere Ruhe einkehren und verschmelzen im Kopf des Hörers zu Kindheitserinnerungen: man wähnt sich in der seinerzeitigen Schihütte in Alpbach, oder erkennt die oft nur angedeuteten Weisen aus dem Liederbuch, das man in der Volksschule erlernte.

Eine wunderschöne Begleitung durch die vorweihnachtliche Winterlandschaft, die mit einer süssen Ablenkung in Zeiten des Corona Virus serviert wird. Mmmmh.

Inga Rumpf – Universe of Dreams

ear music
Berlin 2021

Auf diese Platte war ich schon sehr neugierig. Bin ich doch alt genug, stolzer Besitzer einer LP von Frumpy zu sein. Um es zu präzisieren: zu meiner Plattensammlung gehört auch eine aus blau-schwarzem Vinyl gegossene Scheibe mit dem schlichten Titel „Frumpy 2“.

Frumpy 2 feat. Inga Rumpf

Verpackt in 8 runde auseinander faltbare Blätter in einer halbrunden Plastiktüte war das seinerzeit Krautrock vom Feinsten, featuring die 25-jährige Inga Rumpf. Die Aufnahmen datieren aus dem Jahr 1971 und diese Platte ist ein echtes Sammlerstück deutscher Rockmusik, für das heute € 70 und mehr auf den Tisch zu blättern sind.

Aber wie hört sich die junge Rockröhre (geboren 2. August 1946 in Hamburg) im direkten Vergleich fünfzig(!) Jahre später an, mit 75! Rockmusik ist ein Jungbrunnen. Ich packe das 8-seitige Gehäuse zweier CDs sogleich auseinander und lege die erste CD, „Universe of Dreams“ in den Player, die LP auf den Plattenteller und höre sie abwechselnd durch. Wow. Ingas Stimme ist nach wie vor unverkennbar, wenn auch gealtert, nein, gereift trifft es besser. Wie geschaffen für den Blues. Eine großartige Scheibe.

Inga Rumpf ist auch mit 75 kein bisschen leise.

Die zweite CD, betitelt „Hidden Tracks“ ist für meinen Geschmack zu sehr all over the place und klingt stellenweise wie Nutbush City Limits. Die ersten vier Lieder stampfen daher wie die einer weissen Tina Turner in New York 1987/88, bis zu Falling in Love, wo man eine Gospel Vergangenheit heraus hören könnte. Muss am Hamburger Studio liegen. Und der Mood des Mix Albums wechselt wieder, bei A Woman in Love wird man an Nina Simone erinnert, Right On – Let Your Body Move ist funkig und gut tanzbar.

Ich bin kein Freund derart unhomogener Alben. Kann es auch nicht sein, da die Pieces aus verschiedenen Epochen (1987 bis 2021), Besetzungen und Studio Locations herrühren. Wahrscheinlich wollte Inga ihr breites Œuvre und ihre stimmliche Vielseitigkeit mit dieser Bonus CD demonstrieren. Mit dem letzten Tune, What a Wonderful World wird man jedenfalls wieder mit dieser Welt versöhnt. Oh Yeah.

Gangway Buch

Andreas Felber – Vorwort

Foto: ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Ein Vorwort zu Gerald Ganglbauers Albumbesprechungen also. Klar. Immer gern für jemanden, der sich der unpopulären Textsorte der Rezension widmet. Die oft gescholten, vielfach vernachlässigt, in Zeiten der Online-Playlists mitunter gar als Anachronismus empfunden wird. Dabei ist die dahinter stehende Haltung essentieller denn je: hin- und zuzuhören, sich eine Meinung zu bilden, diese zur Diskussion zu stellen, sich zu exponieren statt indifferent in Deckung zu bleiben. Das alles im Bewusstsein, dass die eigene Wahrnehmung eben nicht mehr ist als genau das – und sie nur für ihren Urheber Gültigkeit beanspruchen kann. Diese Haltung ist wichtig. In diesen Landen, in dieser Welt. Weit über musikalische Sphären hinaus.

Wobei: Über Gerald Ganglbauers Reviews zu schreiben, seine Besprechungen gewissermaßen zu besprechen, das ist gar nicht so einfach. Sprengen sie doch immer wieder diverse Rahmen. Die Grenzen zu Konzertbericht und Musiker/innenporträt sind bei ihm fließend. Auch Autobiografisches findet sich ganz selbstverständlich eingeflochten, sodass man zuweilen über Gerald Ganglbauer mehr erfährt als über das eigentliche Thema der Betrachtung. Sollte man es Erlebnisbericht nennen? Ganglbauer beschreibt radikal subjektiv seine persönliche Annäherung, mitunter seine Annäherungsversuche an den Gegenstand seines Interesses. Er schwärmt, er schildert, er referiert, zitiert, informiert, unbekümmert, gutmütig, launig, stiloffen, steirisch. Kritik ist selten, aber es gibt sie. Wobei eine Formulierung wie jene, dass ihn eine bestimmte Musik „nicht vom Sessel reißt“, schon eine Art Höchststrafe darstellt. Eine sehr milde.

Legendär ist auch der Text zur CD „Time Out Time“ der Little Band from Gingerland, in der Ganglbauer genau genommen kein einziges Wort über die Musik selbst verliert, sondern darauf verweist, dass er heute ja für jedes Stück einen Spotify-Link in den Text einbauen könne, um die Musik für sich sprechen zu lassen – „statt dem müden Hirn in aller Früh schon gescheite Bemerkungen (…) abzulocken (…).“ Das hat etwas von Chuzpe – und Charme.

Dass man mit Gerald Ganglbauer nicht immer konform geht, braucht nicht erwähnt zu werden. Das liegt im Wesen des Metiers. Hier ist einer am Werk, der sich über das geschriebene Wort mit der Welt auseinandersetzt. Eine Welt, die ihn nicht loslässt, und die er nicht loslassen will, dank ihrer faszinierenden Vielfalt, ihrer Buntheit, ihres Überraschungsreichtums. Eine Welt, die zur Auseinandersetzung herausfordert. Seine Welt. Unsere Welt.

Wien, 19. Oktober 2021

Andreas Felber

ist gebürtiger Salzburger, Jahrgang 1971, und lebt seit 1991 in Wien. Dort arbeitet er als Radiomoderator, Musikjournalist, Musikwissenschaftler und Universitätslektor.

Gerald Ganglbauer (Hrsg.): Gangway Music Reviews. Aus Liebe zur Musik – 101 Alben 2013 – 2021. Gangan Verlag, Stattegg 2021, A4, 104 Seiten, durchgehend in Farbe, ISBN 978-3-900530-43-3, € 25

Kahlenberg – Wiener Zucker

Affluenza
Wien 2021

Das zweite Album der „Schnöselpunker“ erschien zwar schon am 1. 10. und hatte seine Release Show am 14. 10. im Chelsea in Wien, mit einer Besprechung wollte ich dennoch auf ihren Auftritt im Orpheum am 21. 10. warten (bei dem Heast! / Platoo Konzert war Kahlenberg als Begleitband von Der Nino aus Wien in Graz)

Nix. Es gab leider eine Terminüberschneidung, und die Jahrestagung der Österreichischen Parkinson Gesellschaft hatte Vorrang. Während ich also meinen „Parkinson Blues“ unter die Neurologen mischte, wärmten Kahlenberg die Grazer für den Nino auf und taten das wohl auf sehr ähnliche Art und Weise wie der Erfinder des Raunzens himself.

Die neue LP, in schlichtem durchsichtigen Vinyl gehalten, eröffnet mit der (frauenfeindlichen?) Zeile „Ja guten Tag die Herren, kommen sie weiter“ und erklärt uns in weiterer Folge, dass „Hab und Gut und Bösendorfer“ in der Allee stehen. Alles wegen der Helene. Doch wir können dazu nur tanzen und empfinden keinerlei Mitleid mit dem Protagonisten. Ich bin etwas befangen, da ich als ehemaliger Wiener das „Raunzen“ sehr gut verstehe, so wie es jedem echten Wiener mit der Mutttermilch verabreicht wird. Beim Betrachten des Covers muss ich spontan an „Striezel, Spritzstrauben, Strudel“ denken, ein Minidrama von Margret Kreidl.

Drama

MARGRET Sandscheiben, Schaumringe. Striezl, Spritzstrauben, Strudel. Schaumomelett, Schneenockerl, Schokoladensoufflé.
Margret seufzt MARGRET Kaffeeparfait, Erdbeergelee, Roter Ribiselschnee. Schokoladenroulade, Marillenpüree.
Margret stöhnt MARGRET Mohnbuchtel, Nußstrudel. Schokoladekuppel, Dukatennudel. Nußkipferl, Kipferlkoch, Nußkugeln, Nougatzungen. Mohnzopf. Topfenpalatschinken. Salzburger Nockerl. Mokkakipferl, Kipferlschmarren. Maschanskerknödel. Powidltascherl, Bärenpratzerl, Batzerlgugelhupf. Apfelkrapferl, Topfenkrapferl, Klosterkipferl, Polsterzipf. Mohnpotize. Topfentascherl. Germkolatschen. Mandelschnecken, Zwetschkenfleck. Schmankerlcreme. Grießschnee. Brandstriezel, Rahmschnitten. Reisauflauf, Scheiterhaufen. Zuckerstrauben. Windbeutel, Spitzbuben. Schokobusserl. Flockenschnitten, Topfenpudding. Obstschüsserl, Bröselnudeln.
Margret weint MARGRET Kokosbusserl. Schokokrapferl, Topfennockerl. Mohnrollen, Hollerröster. Germknödel, Hasenöhrl. Dampfnudeln. Nußschnecken, Zwetschkenpofesen. Marillenstangerl, Stanitzel, Gibanzen. Grammelkuchen, Dalken, Wuchteln, Wäschermadln.
Margret schreit
MARGRET Mohntorte, Mokka-Oberstorte, Dobostorte, Topfen-Oberstorte, Schoko-Oberstorte.
Margret lacht MARGRET Sachertorte.

Was für Nicht-Wiener schon im Wortschatz exotisch / metaphorisch / affengeil / süß klingt, verliert mit „Wiener Zucker“ (der in der Metropole sogar ins Dressing für Blattsalat kommt) nach einigem Hören viel von seinem Reiz. Das unterstellte Rezept geht nicht auf, mit zehn relativ kurzen Nummern zehn Ohrwürmer zu schaffen. Dabei gebe ich zu, dass die Platte Spaß macht, auch weil man sie öfter als erwartet umdrehen muss. Die Lyrics sind ja doch affengeil, und zwischen den Albumdeckeln liegt ein Zehnerpack voll von Ironie. Die Musik bewegt nicht nur das Tanzbein, sondern jeden Muskel im Körper, was uns von Neurologen auch dringend angeraten wird, wie ich auf der Tagung erfahren konnte.

KAHLENBERG © Christoph Meissner

Ernst Molden, der Nino aus Wien und Marco Wanda sind bereits Fans der Kahlenberger rund um Sänger Frank Hoffmann. Die „Schnösel“ Raphael Sas (Gitarre), Dominik Mayr (Bass), Dominik Bayer (Keyboard) und Wolfgang Kanduth (Schlagzeug) kommen allesamt aus dem Wiener Nobelbezirk Döbling, da wo’s der Papa schon richten wird. Oder?

Scheint nur, dass sich die „Berufssöhne“ fürs dritte Album nicht einig werden konnten, ob es stilistisch Richtung Schrammeln oder Kaffeehauspunk gehen soll. Schon aus dem Grund hätte ich sie sehen wollen … aber mein bescheidener Wunsch wurde bekanntlich von der Neurologentagung durchkreuzt. Diesmal.

www.kahlenbergmusik.com

Anna Mabo – Notre Dame

badermoldenrecordings
Wien 2021

In Wien ist sie gut bekannt als Theaterregisseurin (Anna Marboe) und Liedermacherin Anna Mabo (verkehrt herum Obama, wie sie uns als Merkhilfe vorschlägt) – aber in Graz kennt sie niemand. Das sollte sich ändern. In der spärlich besuchten Scherbe stellte sie sich zum allerersten Mal dem Grazer Publikum vor und wurde von einer kleinen, größtenteils weiblichen Fangemeinde begeistert empfangen und beklatscht.

Was auch nicht verwundert, denn die Texte der 25-jährigen sind als „Wienerlieder ohne Wiener“ zu verstehen, morbid und auf den Hund gekommen (Die Oma hat die Susi so geliebt, so auch der Titel des Debüt Albums, 2019) und ironisch (Eifersucht). Die Feministin klagt, dass ihre begleitende Männerband, Die Verzerrten um Ernst Molden, nie Zeit hätte. Vielleicht ist sie die Alice Schwarzer zu Voodoo Jürgens und dem Nino aus Wien.

Anna Mabo am Platoo Montag in der Scherbe, Graz

„Notre Dame“ ist ihr soeben erschienenes zweites Album, das angeblich mit fetter Band aufgenommen wurde. Ich habe es nicht gehört. Aber Liedermacher brauchen keine Band. Anna Mabo, ihre Gitarre und Mundharmonika sind genug, einen amüsanten Abend zu gestalten, der durch die witzreiche Moderation beinahe zu einem Kabarettprogramm wird, mit Lachern, als die selbstbewußte junge Frau an einer Textstelle aus einem Kratzer spontan einen Grazer werden ließ.

Mäkkelä – Dog & Typewriter

9pm records
Fürth 2021

Was für ein geiles Album! Erst dachte ich, Ripoff Raskolnikov zu hören, doch der ist ja in Ungarn, und Mäkkelä ist Finne, wie sich unschwer aus seinem Namen ableiten lässt.

Nun gut, ich bin bis Anfang Oktober offline, werde aber nach dem Leibnitzer Jazz Festival und dem steirischen herbst hoffentlich Zeit für eine Besprechung dieser CD finden.

Inzwischen: anhören!

Das passiert also, wenn man seinen Hund und eine Schreibmaschine auf Tour mitnimmt. Man kommt mit einem fantastischen Album nach Hause und geht damit ins Recording Studio solange dir Erinnerung frisch ist. Dann schreibt die Presse: „Seit Jahren konsequent an jeder Erwartungshaltung vorbei, ist der Finne Mäkkelä zweifellos einer der derzeit interessantesten Künstler der europäischen Songwriter-Szene. Schmerzhaft schöne Songs zwischen Folkpunk-Attitüde, Storyteller-Tradition und Vaudeville-Charme, gereift auf endlosen Tour-Kilometern quer durch Europa und darüber hinaus. Mäkkeläs konsequent am Mainstream Vorbeischrammen, brachte ihm zwar über die Jahre einen Kulturpreis der Stadt Nürnberg, eine Nominierung für den Deutschen Folk Award und eine loyale Anhängerschaft ein, für die breite Masse ist das aber nach wie vor einfach zu sperrig. Besserung eher nicht in Sicht. Emotionale Shows irgendwo zwischen Strummer, Cohen und Waits.“

Mäkkelä © Robert Soellner/Wahrscheinlicht

Solcherlei euophorische Kritik kann man auf der Website des Geschichtenerzählers und 21st Century Bluessingers Mäkkelä lesen, während man seine Tracks durchhört, und man muss den Kollegen recht geben. Außer dem oben schon erwähnten Ripoff Raskolnikov und vielleicht noch der Schottin Rachel Sermanni kenne ich niemanden, der den Folk Noir so überzeugend vermittelt, wie Mäkkelä, muss aber gleichzeitig gestehen, dass das nicht meine urtümliche Musikrichtung ist. Gut möglich dass man auf Folk Festivals noch mehr solch großartiger Musiker trifft.

Und das ganz ohne Strom. Sollte man sich noch reinziehen.