Café Drechsler – And Now…Boogie!

Universal Music
Vienna 2017

Es war während des Jazzfestivals Leibnitz. Mit dem Schlagzeuger Alex Deutsch sass ich zufällig eines frühen Morgens beim Frühstück am selben Tisch. Neben einer Facebook-Freundschaft ergab das daraus folgende Gespräch großes Interesse an dem neuen Album, das nach zehn Jahren schöpferischer Pause im Trio mit Oliver Steger (Bass) und Ulrich Drechsler (Saxophon) entstanden war: And Now…Boogie! und ich versprach, mir die CD gleich anzuhören und sie zu besprechen.

Das liegt nun schon gut ein halbes Jahr zurück, aber mein Versprechen wird immer gehalten und nun sollen Worte beschreiben, was ich mit großem Genuss in Leibnitz live erleben durfte. Vorweg die Geschichte, wie es zum Namen  des Trios kam – das Café Drechsler ist tatsächlich ein Wiener Kaffeehaus, jedoch nicht mit dem Saxophonisten gleichen Namens verwandt – aber das kann die Band auch selbst erzählen.

Ich war müde, es war wohl schon fast Mitternacht, aber dennoch wollte ich das Konzert im Marenzikeller nicht verpassen.  Und siehe da, die Müdigkeit wurde von der Musik weggeblasen, die Beine tanzten unentwegt und von irgendwoher flutete Dopamin in mein Hirn. Ich war gut gelaunt, tanzte in vorderster Reihe und ließ mich vom Tempo der drei Profis mitreissen. Ein akustisches Trio, auch wenn es in iTunes unter „Electronica“ gehandelt wird, habe ich noch nie so schnell spielen gehört. Bass und Schlagzeug bauen den Highway, auf dem das Tenorsaxophon fährt. Und wenn ich die Augen zumachte habe ich mich in einem offenen Mustang über diese Autobahn fahren sehen und mit jedem neuen Tune wechselt die vorbeiziehende Landschaft. Vielleicht sollte die CD eine Warnung tragen, nicht im Auto gespielt zu werden, wenn man Speeding Tickets vermeiden will. Genial. Dabei sind auch zwei Tunes mit Text drauf, auf Samptpfoten rezitiert Yasmo „Mir geht’s gut“ über Befindlichkeiten („Ich reich die Hand um zu zeigen, dass sie keine Waffe trägt“) am Tune „On Velvet Paws“ und ein RAP von FlowinImmO auf „Fake News“, der ins Politische geht und mit der rhetorischen Frage endet, „worüber lohnt es sich zu sprechen“.

Alex Deutsch habe ich in der GMD auch wieder gesehen, am Schagzeug für Harri Stojka. Wow, der Mann ist so energiegeladen, dass er sogar noch die Ladegeräte im Publikum betreiben könnte. Musik ist eben auch ein Energy Drink. Oder noch besser: Grundnahrungsmittel! Jedenfalls kein Boogie.

 

Alma – Oeo

col legno music
Wien 2017

… irgendwo zwischen Heimaterde und einem dunklen All.“ (Valerie Fritsch)

Wenn man  Transalpin, Almas zweite CD, sehr spannend fand, schraubt es die Erwartungshaltung für ein drittes Album hoch. Wenn man dann noch lange Zeit auf die Zusendung gewartet hat, steigt sie bis ins „dunkle All“. Dieser hohen Anforderung, aus drei Violinen, einer Knöpferlharmonika und einem Kontrabass etwas absolut Neues zu kreieren, wird Oeo nicht gerecht. Alma greift mit diesem Album nach den Sternen, aber verliert sich darin, ohne sie zu erreichen.

Ich habe die CD gleich aus dem Postkasten ins Auto mitgenommen, jedoch beim ersten Abspielen nichts gehört, was meine Aufmerksamkeit von der Straße abgelenkt haben könnte. Oeo ist eine brauchbare Sammlung bodenständiger Hausmusik, vom Jodler bis zum Landler mit einem Schuss Gegenwart, nervt und/oder langweilt gelegentlich auch inmitten schier endloser Schleifen und bietet keine wirklichen Überraschungen. Die instrumentalen Möglichkeiten eines Quintetts sind klarerweise begrenzt, also müssten die Stimmen aushelfen, aber davon gibt es wenige auf Oeo. Mir fehlt das harmonische Jodeln von Transalpin. Erst auf dem Rückweg fiel mir dann ein Stück mit Gesang auf, „Questa Mattina“, ein italienisches Volkslied. Danach plätschert es wieder weiter bis zum „unbekannten Frieden“, einer Träumerei außerhalb unseres Planeten, und versickert.

Tut mir leid, ich hätte Oeo sehr gern gelobt, aber ich kann es nicht. Ich hoffe aber, dass die Band dies als konstruktive Kritik auffasst und im vierten Album wieder ihren Weltmusik-Kurs ins Universum einschlägt.

Swell / Ullmann / Lonberg-Holm / Zerang – Chicago Plan

Eyes Wide Shut

Nach dem ersten Stück im ersten Set war ich  etwas planlos. Die vier Musiker spielten zwar vom Blatt, aber jeder für sich mit geschlossenen Augen. Mon dieu, war das nun Freejazz, worauf ich mich hier unvorbereitet eingelassen hatte? Keine Spur, den Ohren der Zuhörer im Stockwerk Graz wurden Kompositionen geliefert, die klare Strukturen erkennen ließen, wenngleich diese auch ständig wechselten. Creative Jazz aus den United States war eben anders als europäischer oder australischer Jazz.

ChicagoPlan - 9

Aber es passte alles zusammen, was man sich an ungewöhnlichen Symbiosen nur vorstellen konnte. Angefangen bei der Instrumentierung. Ich hatte noch kein Chello (und Electronics) in einem Jazz Quartett gesehen. Aber was Fred Lonberg-Holm (55) mit seinem „geschrumpften Bass“ zupfte, strich, kratzte und quietschte, passte. Eine drei-saitige Gitarre, die ihm sein Vater gebastelt hatte brachte ihn zur Musik, wie er mir in der Pause erzählte. Und der Mojo, mit dem der in Chicago gebürtige Drummer Michael Zerang (auch er wird heuer 60) die Rhythmen sammelte, vorantrieb und wechselte, passte ebenso. Der Mann, dessen Haar wie Rapunzel bis zum Boden reicht, ist auch Komponist und spielte Schlagzeug mit zahlreichen Bands von kreativem Jazz über Weltmusik bis zu Rock und mehr, und es passte. Der 60-jährige Berliner Import Gebhard Ullmann, bestückt mit Tenorsaxofon und Bassklarinette noch der „normalste“ im Jazz Quartett, passte natürlich. Und Steve Swell aus Newark/New Jersey, der mit 64 Jahresringen älteste der vier, hielt die Augen ebenfalls geschlosssen, wenn er seinen Körper mit der Posaune bis zum Boden schwingen ließ, und auch das passte.

Variations on a Master Plan. Das macht Lust auf eine Reise nach Chicago, denn dort gibt es Creative Jazz vom feinsten, wie dieses Quartett. 2016 erschien Chicago Plan, ein selbst betiteltes Debütalbum bei Clean Feed. Davor hatte jeder der vier schon zahlreiche CDs in anderen Gruppierungen und Projekten aufgenommen. An diesem Abend war Chicago in Graz und hat die Zuhörer musikalisch bereichert, wofür Otmar Klammer zu danken ist. Die Stadt Chicago wird dennoch ein Reiseziel auf meiner Bucket-List bleiben.

Tiger Family – Tarantoga

Pumpkin Records
Wies 2018

Paul Pfleger, der im Tiger Familienbetrieb die Felle bearbeitet, hatte mich zum Album Release Concert eingeladen. Da ich die junge Band schon einmal in der Provinz gehört hatte, war ich neugierig genug, um mir das zweite Werk genauer anhören zu wollen. Man lud in den Guest Room, den ich nicht kannte und das Poster weder Adresse noch Beginnzeit preisgab. Auf Facebook wurde ich fündig, der Venue sei in der Beethovenstraße und beginne um 19 Uhr. Ich war knapp dran und schaffte es gerade mit der akademischen Viertelstunde, den unscheinbaren Kellereingang zu finden, Oje, ich hörte schon Musik aus dem Gewölbe und hatte nun den Anfang verpasst … Doch nein, die Jungs waren beim Soundcheck und ich war der einzige Gast. Das war wie eine private Show!

Tiger Family beim Soundcheck im „Guest Room“

Die Band ging danach erstmal einen Happen essen und ich wartete geduldig im Gastgarten nebenan und hatte kurzweilige Gespräche mit anderen Gästen, die schön langsam bis 22 Uhr eintrudelten. Als sich der Keller mit genügend Zuhörern und Rauch gefüllt hatte, ging es dann fast unbemerkt los. Zwei Stücke wurden gespielt, die gar nicht auf dem Album waren, aber das schien nicht so wichtig zu sein. Ich hatte nur den „Saint Traveller“ zuvor auf YouTube gehört, und dieser Tune gefiel mir. Es erinnerte an Country Music aus der Zeit von Crosby, Stills, Nash and Young, vielleicht wegen der Slide Guitar oder der wie beiläufig begleitenden Stimme. Der sechsköpfigen Band, einer Großfamilie mit Verwandtschaft bei Spring and the Land und Stereoface schien es  – wie schon bei der Beginnzeit – ganz und gar nicht um lange geübte Präzision zu gehen, sondern um den Spass, wovon so manch ein daneben gegriffener Ton zeugte. Aber Chillen ist eben wichtiger, als Versprechen einzuhalten, wie z.B. mir am nächsten Morgen gleich das Pressematerial zu schicken, auf das ich heute noch warte. Aber es geht auch ohne, wie man sieht.

PS.: Versucht erst gar nicht, eine CD irgendwo zu kaufen. Tarantoga gibt es nur als Download oder als LP. Ich gebe gerne zu, dass Vinyl Records cool sind, aber die Vorzüge des digitalen Speichers sind einfach unschlagbar. Nur die kleinen Heftchen mit Lyrics, Credits und was einer Band sonst noch wichtig erschien, gibts ohne CD nicht. Dabei könnte man das genausogut auch einer mp3 Version als PDF beilegen. Nur so als Idee.

Holler My Dear – Steady As She Goes

Traumton Records
Berlin 2018

Holler My Dear (Laura Winkler, Stephen Moult, Fabian Koppri, Valentin Butt, Lucas Dietrich, Elena Shams) haben nun  nach drei Jahren ihr drittes Album im Orpheum Extra vorgestellt. Beim Launch ihrer zweiten CD Eat, Drink, and Be Merry in der „pangea musik lebt“ Reihe in der Postgarage waren sie mir aufgefallen. Ihre Musik  verweigerte Zuordnung  einer Schublade, also nahmen sie vier: Pop, Swing, Funk, Folk – ich hätte auch noch eine Prise Jazz hinzugefügt.

Steady As She Goes baut auf diese Fundamente, auch wenn der Titel eine ruhige Seefahrt suggeriert. Einen Titel zu wählen, der schon stark besetzt ist, etwa von Hot Tuna und den Raconteurs, ist mutig, abgesehen davon, dass keiner der 16 Tracks an einen Shanty erinnert und außer dem Titelsong und Memories und The Deep nichts mit dem Meer zu tun hat. Aber egal, man muss nicht alles verstehen.

Das Konzert hinterließ jedenfalls wieder eine sehr angenehme Hautsensation. Die sechs Musiker sind alle Perfektionisten, nicht nur am eigenen Instrument, sonder auch Reihum. Stephen Molchans (Trompete) war am Piano zu sehen, am Schlagzeug und sogar als Rapper. Apropos Rap: Laura Winkler, Spitzname „Laus“ hat auch gelegentlich eine schnellere Zunge, als ein Normalbürger zu denken vermag. Eine Herausforderung, will man mitsingen.

Übrigens hat sich Lucas Dietrich vom U-Bass  getrennt, spielt aber immer noch eine kleinere Version eines E-Bass. Ist auch praktischer zu transportieren und klingt besser. Na dann.

Mario Rom’s Interzone – Truth Is Simple To Consume

Laub Records
Vienna 2017

Mario Rom's Interzone CDDas Trio rund um den atemberaubend virtuosen Trompeter ist schon jetzt eine der erfolgreichsten Jazzbands, die das Land in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Mittlerweile waren Mario Rom und die Seinen mit ihrer so unbekümmerten wie ungestümen Musik schon auf der halben Welt zugange. Gerade erst waren sie in Kanada, Marokko, Indien und in Admont, wo sie ihr neues – drittes – Album präsentiert haben.
Mit der surrealistisch witzigen, vierteiligen Online-Filmserie Everything Is Permitted, eingefangen zwischen Mexiko, New Orleans und Österreich, erregten Rom, Kranzelbinder und Pirker großes Aufsehen und haben damit schon vor ein paar Jahren ein kleines Stück europäische Musikgeschichte geschrieben. So etwas hatte man bislang noch nicht gesehen!

Das dritte Album

Nun kommen die drei bärtigen Herren mit den ausgeflippten Ideen zur Präsentation ihres dritten Albums ins Stockwerk zurück.
Ein seltener Beweis, dass sich hot und cool oder free und retro nicht ausschließen müssen. Sie räumen alle stilistischen Wegweiser zur Seite, swingen, grooven, dampfen, nehmen abrupt Tempo aus der Bewegung, sie spielen, wie es ihnen die Energie gerade gebietet.

MARIO ROM´S INTERZONE (A) sind Mario Rom – trumpet, Lukas Kranzelbinder – bass und Herbert Pirker – drums.

Otmar Klammer

Stereoface – Jaws

Album Release

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, heisst es. Als ich Paul Pflegers neues Album Jaws auflegte, musste ich mich erst einmal vergewissern, dass ich die richtige Tonquelle gewählt hatte, so sehr überrascht war ich von der Musik seiner Band Stereoface. Was da aus den Lautsprechern kam, war feinster Rock, der aus den 70er/80er Jahren  hätte sein können. Nun ja, man muss wissen, Pauls Vater Ewald „Sunny“ Pfleger ist Gitarrist und Songschreiber bei OPUS. Ich habe beide einmal gemeinsam bei einem Benefizkonzert in der Grazer Oper auf der Bühne gesehen. Dass Paul die Plattensammlung seines Papas gehört und diese Songs sehr genau studiert haben muss, war, wie gesagt, eine Überraschung. Schließlich erwartet man vom Nachwuchs Hip-Hop, Techno oder sonst etwas elektronisches … eben alles, nur nicht Rockmusik mit „richtigen“ Instrumenten, wie sie noch von ihren Eltern gespielt wurden.

Mitbegründer Nino Kadletz, sowie Antonio Marghariti, Günther Paulitsch und Lukas Schneeberger sind die weiteren Bandmitglieder, die uns mit Jaws ein Album vorlegen, das zwar von der Musik der Altvorderen ausgeht, aber beim genauen Hineinhören sehr eigenständig mit den Instrumenten einer klassischen Gitarren-Rockband umgeht. Immerhin ist es das fünfte Album, das die Grazer Band in zehn Jahren produziert hat.

Graz rockt

Was in Baby Be My Valium unscharf an Black Sabbath erinnert, wird in You Bark I Bite und Superhuman Inhumanities ein bisschen zu Nirvana. Oder Oasis. Aber was soll’s, die Tunes auf Jaws sind doch einzigartig und You Ain’t Old Enough könnte sogar in die FM4 Charts passen.

Alle Titel auf dem Album werden von den durchgehend englischen Lyrics Paul Pflegers „gestimmt“ und entweder von einem groovigen Bass oder schnellen Drums getrieben, bis auf den etwas unruhigen Tune Sharks, der nicht Fisch nicht Fleisch zu sein scheint.

I Don’t Wanna Be Free hat einen Touch Metal, aber Sharksheep (I Don’t Wanna Know You Too) gönnt dem Album ein sanftes Ende. Alles in allem ist Jaws von 30+ bis 60+ durchaus  tanzbar, analog auf Vinyl zu haben, jedoch auch digital bestens geeignet, im Autoradio etwas lauter gehört zu werden.

The National – Sleep Well Beast

4AD records
London 2017

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Im Mai 2017 gab die Band bekannt, dass das neue Album Sleep Well Beast im September in die wirklichen und virtuellen Regale der Plattenläden kommen würde. Das Album erschien tatsächlich am 8. September 2017 als das siebente der New Yorker Indieband und hat mich wiederum tief berührt.

Um auszuholen: das erste Mal habe ich The National vor rund zehn Jahren als hierzulande noch weitgehend unbekannte Band auf den Grazer Kasematten gesehen, wo mich Matt Berninger fast umgerannt hätte, als er sich auf seinem Publikumsbad mit dem extra langen Mikrofonkabel einen Weg mitten durch die Zuhörer gebahnt hatte. Vojo Radkovic hatte diesen Gig als einen seiner letzten in Graz auf die Bühne gebracht. Sie tourten gerade ihr fünftes Album, High Violet, auf dem der wunderschön traurige Tune Runaway meinen seinerzeitigen Liebeskummer noch um eine Potenz verstärkte. Dann folgte ein steiler Aufstieg bis zum legendären Konzert vor dem Sydney Opera House im Sommer 2014. Warum ich die Band mag, liegt aber nicht nur im Privaten.

The National live am Grazer Schlossberg @ 2010 Gerald Ganglbauer

Matt besitzt eine unverwechselbare Stimme, einen Bariton, der zart und sanft und ab und an auch quer zum Rhythmus die Lyrics in die Musik einwebt. Er wirkt authentisch, weil er auf der Bühne unruhig hin und her jagt, als ob ihm die Zeilen gerade einfielen. Ja, und die Musik selbst ist auch der Band eigen, die vor allem durch die satten Drums des Schlagzeugers Bryan Devendorf geprägt wird. Apropos Besetzung: Bryans Bruder Scott Devendorf bedient Bass und Gitarren, und ein weiteres Bruderpaar, Aaron Dessner, Gitarre, Bass, Keyboards und Bryce Dessner, Gitarre und Keyboard, machen The National fast zu einem Familienbetrieb. Seit der Gründung 1999 ist die Band zu einem gut aufeinander eingespielten Klangkörper zusammengewachsen, kennen sie sich doch schon aus der Studienzeit in Cincinnati, Ohio, wo sie aufwuchsen und in verschiedenen Outfits zusammen gespielt hatten.

Vom nach dem Namen der Band getitelten Debütalbum, das 2001 erschienen ist, bis zu Sleep Well Beast spannt sich Geschichte, in der sich bei den Bandmitgliedern sichtlich so viel getan hat wie in meinem Leben, oder dem ihrer zahlreichen Fans. In High Violet (2010) zeichnete sich die Richtung mit Terrible Love bereits ab. Ihr vorletztes Album, Trouble Will Find Me (2013) zeugte mit dem melancholischen I Need My Girl von den Parallelen in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen.

In der Neuerscheinung mit dem düsteren Cover lesen sich auch die Titel der Tracks wie das Protokoll einer Scheidung – dunkel, pessimistisch und endgültig – denn im Leben wie in Matts Liedern geht es um das Scheitern der Liebe: Nobody Else Will Be There, Day I Die bis hin zu I’ll Still Destroy You und Guilty Party sprechen für sich. Eine der Zeilen: Keinen von uns trifft eine Schuld, wir haben uns einfach nichts mehr zu sagen. Ich würde Matt liebend gerne kennenlernen und Erfahrungen austauschen. Mal sehen ob ich nach New York City komme, oder ihm irgendwo auf der Welttournee der Band begegne, sofern er mich nicht wieder überrennt. Tourdaten sind hier: americanmary.com

The Base – Disco Bazaar

Album Release

Bazaar ist das persische Wort für Markt. Wie das deutsche Wort bezeichnet Basar sowohl die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage als auch den Handelsplatz, der hinsichtlich seiner Gestaltung, Lokalisierung und Funktion spezifische Charakteristika hat. Wenn man in das neue Album von The Base hineinhört, muss man sich das vor Augen halten, obwohl die Lyrics sich nicht oder kaum darauf beziehen. Aber what the f . . .  ist ein versteckter VJ? (Hab mich schlau gemacht: ein Video Jockey)

Ein Kennzeichen orientalischer Basare ist die Aneinanderreihung von Geschäften, die Waren derselben Kategorie (in unserem Fall Disco) verkaufen. Das machen sie gut. Einen Großteil der Waren meint man schon einmal irgendwo gesehen (gehört) zu haben. In der Tat sind die Strickmuster, wie sich die einzigartige Stimme  von Norbert Wally einsetzen läßt, begrenzt. Nun, ich hatte mir nicht erwartet, lauter „neue“ Töne auf diesem Disco-Marktplatz zu bekommen. Schließlich ist es die bereits zwölfte Scheibe des 1996 debütierenden Grazer Trios. Man bietet an, was man daheim hat.

Mit etwas Feilschen erhält man aber tatsächlich auch hier neue Stückerln unter den  Plagiaten eigener Werke. Simoom ist so eine erfreuliche Ausnahme, ganz hinten am Regal zu finden. Norbert Wally rezitiert den Text, statt ihn zu singen, während Albrecht Klinger am Bass und Karlheinz Miklin jr. am Schlagwerk in gewohnt ausgereifter Musikalität die poetischen Worte vor sich her drängen. Groovy, Baby.

You Put Sugar in My Soul ist ein Mantra, wie man ihn auch schon von vorigen Alben kennt, die schier endlosen Wiederholungen versetzen den Hörer entweder in Trance, oder lassen ihn eine Palme hochklettern. Ähnlich geht es mir mit einem Dutzend I/You/We Connected. und den erhobenen Händen in Eight Cops. Dass dem Songwriter kein weiterer Text eingefallen sei, oder er nur den Song verlängern wolle, will ich damit nicht unterstellen. Ich habe schon bei der Release von Where Is my Weather (2015) auf diesen Ballast hingewiesen, offenbar erfolglos. Tja, man muss auch noch so konstruktiver Kritik nicht gleich Folge leisten.

Pile Your Shishas  ist ein angenehmes Lullaby. Die orientalische Wasserpfeife stellt endlich auch einen Kontext zum Basar her. The Base sollte einen Wettbewerb machen, welche Originalvorlagen die Disco Bazaar Tunes evoziieren, Menschen, die die Band noch nie gehört haben, werden Ride After Dawn mögen, Fans (dazu zähle ich mich) werden ein Déjà-vu erleben. Just Another Sky ist ein typischer Waltz, ganz in der Tradition der Gruppe, mit leisen Ethno-Einflüssen.  Aber egal ob recycled oder neu, die Musik von der Basis ist immer gut tanzbar, und die Refreins bleiben tagelang im Kopf stecken, wie im Opener Feed Your Dinobaby. Am Ende weiß man nicht mehr, ob man einen neuen oder alten Tune hört, den der Shuffler aus den zwölf Alben von The Base gerade spielt. Sie sind einfach alle gut.

Bei ihren Dreikönigskonzerten im Scherbenkeller werden wieder zahlreiche Groupies die Lyrics mitsingen. Bleibt zu hoffen, dass niemand dabei sein Happy verliert.

Präsentiert wird das Album in Graz am 30. September 2017 im p.p.c. Vorverkaufskarten sind bereits online.

Band Website – www.the-base.at

Spring and the Land – Summerset

CD und Vinyl

Wer in der Popmusik überleben will, muss drei Kriterien erfüllen.

1. Die Musik/Besetzung und/oder Stimme muss so unverwechselbar einzigartig sein, dass man sie im unendlichen Musikbrei sofort erkennt, wie zB. David Surkamp (Pavlov’s Dog), Michael Stipe (R.E.M.), Phil Collins (Genesis). Auch Voodoo Jürgens, Klaus Nomi oder Norbert Wally ist bzw war diese Qualität eigen, um auch deutschsprachige Musiker zu nennen.

2. Man muss in der „richtigen“ Stadt leben. New York, Melbourne oder London bieten Musikern unendliche Möglichkeiten an Labels und Venues. Graz, Wies und nicht einmal Wien gehören in diese Kategorie, Berlin vielleicht.

3. Man muss mit Produzenten, Kritikern und MTV Redakteuren „schmoozen“ können, um das jiddische Wort zu bemühen, und mit den wichtigsten Radiostationen auf du und du sein. Auf FM4 gespielt zu werden ist cool, aber noch lange nicht die Welt.

Warum ich diese Präambel zu der Besprechung des zweiten Albums einer Band mache, die ich bislang noch nicht kannte, liegt auf der Hand. Spring and the Land hat diese Stimme, die einen schon im ersten Track, The Meadow, fasziniert und regelrecht überfährt. Die Kopfstimme und und die kleinen Risse und Unebenheiten sind einzigartig und im dazugehörigen Videoclip sehr schön herausgearbeitet.

Warum es diese auch handwerklich sehr gute Formation um Jacques Bush, Gitarre & Gesang und Marino Acapulco, Schlagzeug, (die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt) auf der internationalen Landkarte der Popmusic noch immer nicht gibt liegt daher an Punkt zwei und drei. Die Musiker sind Grazer und viel zu sympathisch, um sich auf schmoozen zu verstehen.

Auch Dogboy!, die voraus gegangene Electronic-Formation der beiden mit dem Debutalbum Watersports, das bereits im Jahr 2002 erschienen ist, hat es nie nach Australien geschafft und nicht einmal in Österreich die Charts erobert.

Ich verdanke es Pumpkin Records unermüdlichem Wolfgang Pollanz und seinem kleinen aber feinen Pumpkin Pool Festival am 1. September 2017 in Wies, die Band persönlich kennengelernt zu haben. Nach diesem intimen Gig keimt in mir die Hoffnung, dass es  heimische Musiker doch noch schaffen werden, über die Grenzen hinaus bekannt zu sein und mit Popmusik nicht nur zu überleben, sondern wie Sterne zu scheinen.

Band Website – https://www.springandtheland.com/