Punk war nie mein Ding und Rasierklingen verwendete ich nur zur Nassrasur oder zum Ablösen von Aufklebern, aber das ist lange her und wenn mir Jürgen Rottensteiner eine britische Punk-Band empfiehlt, höre ich sie mir gerne an. Eigentlich machen die einen Mix aus Post-Punk, der längst erwachsen geworden ist, Minimal Electro und Hip-Hop in breitestem Slang. „Mods“, zu Travoltas Zeiten eine Vespa-Roller Gang, hattten die Briten schon länger als „Grease“.
Ich war wohl lange weg, denn die Sleaford Mods, ein Duo bestehend aus Jason Williamson und Andrew Robert Lindsay Fearn, gibt es schon seit 14 Jahren und „Spare Ribs“ ist bereits ihr elftes Album.
Das Seuchenjahr 2020 bot genügend Material, „Corona, Brexit, Johnson, Trump und jede Menge andere Scheiße, die in der Welt vor sich geht,“ um sich daraus 13 leckere Rippchen zuzubereiten. Und egal in welche Schublade man das Album stecken will, das Anhören lohnt, die Beats treiben und ihr fuckin‘ Cockney macht dich smile.
Nicht zu verwechseln ist Bertrams zweites Album mit der leider mittlerweile eingestellten Grazer Band „Saint Chameleon“ und auch nicht mit Gerald Hartwigs 2013 bei Luftschacht erschienener Graphic Novel gleichen Titels. Aber ist es nicht die ursächlichste Eigenschaft dieser tropischen Echse, sich immer wieder ihrer Umgebung anzupassen, die Farbe zu ändern, um sich mit geschickter Zunge die Leckereien zu holen? Tut das auch Bertram, ein Steirer in Wien, wenn er im zehnten Track behauptet, „Ich bin (ein) Berliner?“
Schon Hildegard von Bingen wusste, dass Bertram (eine mysteriöse Heilpflanze) nichts unverdaut lässt.
Ich muss vorausschicken, dass mir sein Debüt Album entgangen ist, aber im ersten Titel des Chamäleon Albums lernen wir bereits, dass ihm die Camouflage eines angesprochenen „Du“ sehr am Herzen liegt, da nichts besser wird (werden kann?). Gut, dass es nur ein Mythos sein soll, aber wenn das nun kryptisch klingt, so zeigen die Lyrics im schick illustrierten Booklet, die allesamt aus seiner (Bertrams) Feder stammen, wie seltsam schön kryptische Texte anmuten können. Und das ist gut so, denn dadurch wird der Freiraum größer, in dem sich jede Hörerin und jeder Hörer einen eigenen Reim darauf machen kann. Ein Phänomen, das wir von „Stairway To Heaven“ kennen.
Gemeinsam mit dem Schlagzeuger Joe Grindl (der im The YES Studio die Aufnahmen gemischt und mit Bertram alle weiteren Instrumente einspielt hat) produziert das Duo freundlichen Indie Rock, der sich auch an die Grenze zu Pop heranwagt.
Herausragende Tracks sind „Betäubt“ (Yeah, yeah!) und „Sonnenstich“, weil sie andere Töne/Rhythmen/Stimmen anschlagen, aber das tun Bertrams Lieder ohnedies mehr oder weniger alle. Einzig nervig sind die Mantras auf „Amygdala“ und „Hysteria“. Ich mag keine schier endlosen Wiederholungen. Bertram ist dennoch eine interessante Entdeckung und erinnert ein wenig an – Gotye – Somebody That I Used To Know – aus Australien. Du meine Güte, das ist ja schon zehn Jahre her. 2011 lebte ich noch Down Under, wo die Musikszene eine ganz andere war.
Andreas Voller von Voller Sound verdient auch noch eine Erwähnung für ein sehr sorgfältig produziertes Album und kluge Release-Daten: am 04.09.20 erschien die Single „Camouflage“, am 06.11.20 wurde das Album „Chamäleon“ präsentiert und mit einer weiteren Single-Auskoppelung „Hysteria“ am 05.03.21 wieder in Erinnerung gerufen. Lockdown kreativ gut genützt, könnte man sagen.
Ein Debütalbum zu besprechen, ist immer ein gewagter Versuch. Noch größer ist das Risiko, wenn man die Band nicht kennt, keines ihrer Konzerte gehört hat – was in Zeiten der Corona Pandemie gar nicht verwundert – und daher ausschließlich auf die Musik auf einem Tonträger angewiesen ist.
Die Verpackung der CD liefert weitere Anhaltspunkte. Das auf wenige Farben auf schwarzem Hintergrund reduzierte abstrakte Cover trägt nur das geheimnisvolle Wort KAYOMI in Stencelschrift genau in der Mitte, wie auf einer Kiste. Ein auf teuflischem Rot gedrucktesTextheft mit ausnahmslos englischen Lyrics liegt bei. Ist das eine Band aus Wien oder sind das Südseepiraten? Sehen wir sie uns einmal an.
Im FM4 Soundpark definieren sich die fünf Musiker als „Vienna’s own indie rock combo – rooted in the vast legacy of rock“, und weiter, dass sie nicht einfach nur Musik machen, sondern Klangräume schaffen, die das Publikum einbinden. Und dazu fehlt den Bandmitgliedern weder die Ausbildung (Vienna Music Institiut, Musikschule Ottakring) noch das zusätzliche berufliche Engagement, sei es als Musiklehrer, im Kammerorchester oder in der Bigband.
Alexander Kuroll (Sänger, Gitarrist, Texter und ehemaliger Sängerknabe), Alexander Distl (Schlagzeug), Christian Woltron (Flötist und Sänger), Georg Pinter (Bass) und Juliane Weselka (Saxophonistin und Sängerin) machen seit 2019 soliden Rock, fetzige Tanzmusik, die auch inhaltlich Bedeutung hat. Die zwölf Songs auf dem Album sind „eine Fahrt im Mondlicht für die scheinbar ausweglosen Momente auf nächtlichen Straßen“. Im Song „Heal Me“ wird das Quintett quasi zu einer Selbsthilfegruppe für Mental Illness.
Auch die Gottesanbeterin „Yomi“, die sich Juliane als Haustier hält, findet sich im Song „Praying Mantis“, „I’m inside you, sucking up what you offer…“ Autsch.
Wäre Peter Rosegger ein Zeitgenosse Flo Grubers, sie hätten beide in einer Garage Band gespielt und wären im ganzen Dorf bekannt gewesen. Aber der blutjunge Obersteirer hat sicherlich von ihm gelernt, und genießt frühen Ruhm mit seinen 2400 Likes auf Facebook. Seine Heimat ist Obdach, eine kleine Gemeinde im Murtal. Dort ist er verwurzelt, dort hat er sich vom „Rotzbua“ (der er immer noch gern wäre) zum Schlagersänger entwickelt. Man hört dort wahrscheinlich zu viel OE3 oder Antenne Steiermark, um etwas anderes als Pop Musik (oder Volksmusik) zu machen.
Ich könnte Flos Opa sein, weshalb ich mit Pop so meine Schwierigkeiten habe. Nebenwirkungen reichen von leichtem Schwindel bis zum Brechreiz. Dabei ist es lustig anzumerken, wie sich alles von Generation zu Generation um 180 Grad verdreht hat. In meiner Jugend hörten die Altvorderen Elvis Presley und Peter Alexander, und das junge OE3 war Teil der „love, peace, freedom“ Revolution. Heute ist es für meinen Geschmack ungenießbar geworden, wir Alten haben uns musikalisch am Jugendsender FM4 neu orientiert und hören Jazz auf OE1. Soweit ein kleiner Exkurs, der entschuldigen soll, dass ich von Pop keine Ahnung habe.
Alles was ich zur Musik sagen kann, dass er ein bisschen an einen jungen Fendrich erinnert, würde der nicht Wienerisch, sondern Steirisch singen. Manch eines seiner Lieder ist ein Ohrwurm, aber ob das nun Lob oder Tadel ist, sei dahingestellt. Solide gespielt von seiner Band und selbstsicher über die Bühne gebracht, was ich nur aus Videoclips ableite, da wir uns nie begegnet sind. Er scheint aber ein sympathischer junger Mann zu sein, schon allein deshalb, weil er am liebsten immer „nockat“ ist, wie auch der Verfasser dieser ungewollten kleinen Besprechung.
Eine Bemerkung sei mir noch gestattet zur „Verpackung“. Die CD kommt zwar in einem schicken sechsseitigen Digipak, aber – wie kindisch ist das – sie hüpft auf einem Popup heraus, auf dem sie nie wieder ordentlich sitzt und die schwarze kleine Schrift auf dunklem Grund ist fast nicht zu lesen. Aber was solls, die Jugend kauft eh keine Tonträger mehr. Da ist Stream oder Download angesagt. Tja, die Zeiten ändern sich immer rascher.
Ist mein geschätzter Kollege Wolfgang Pollanz während des Corona Lockdowns auf den Hund gekommen? Sicher nicht im sprichwörtlichen Sinn, vielmehr hat er die „Sprache der Tiere“ erlernt und die Viechereien der Menschheit gleich auf LP/CD/Digital Tonträgern in 13 Häppchen serviert.
Die Idee ist entzückend und es war richtig, dafür die molligen Maschinen von anno 2010 instrumental zu reanimieren. Und so erzählen die Tiere ihre Geschichten, so authentisch, dass sogar der Hund meiner Nichte (als tierischer Testhörer) seine Ohren bei den „bekifften Fröschen“ gespitzt und die Lautsprecher angestarrt hat. Seltsamerweise hat er bei seinen losgelassenen Artgenossen mit keiner Wimper gezuckt. Wir haben offenbar über artikulierten Gesang hinaus denselben Geschmack.
Das von Wolfgang Pollanz komponierte, arrangierte und produzierte „Album der Tiere“ legt einen farbenfrohen Klangteppich über einen akustischen Bauernhof, seine Stallungen, Weiden und Wälder. Wo sich der freundliche Fuchs vom Cover nicht um den Hühnerstall schert, der sogar bis ans Meer reicht, wo Wale ihre Zwiegespräche führen. Ich liebe die „Katzenjammer Kids“. Nur das für alle Lebewesen gutmeinende „What A Wonderful World“ ist ein bissl kitschig ausgefallen. Macht nix, hier findet jeder sein Krafttier.
Ein äußerst interessantes Album hält meine Aufmerksamkeit nun schon den ganzen Morgen gefangen, nachdem ich es ein paar Wochen auf meinem Schreibtisch liegen hatte. Es war dem Umstand zu verdanken, dass weder Artist noch Titel am Cover stand, also musste ich hineinhören.
How could you be so blind? fragt eine Stimme, die mich gleich im ersten wuchtigen Track „Goliath“ an Antony and the Johnsons erinnert, einem Track, der schon durch seine verschachtelten Beats (Peter Gabriel kommt in den Sinn) auffällt. „S16“ (das chemische Symbol und die Ordnungszahl für Schwefel) hinterfragt den Begriff der Dimension, von unendlich groß bis unendlich klein, das Gleichgewicht der Kräfte zwischen Mensch und Industrie und die Idee der kollektiven und individuellen Verantwortung, eine Welt an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen. So zumindest steht es im Pressetext, auch wenn es mir nicht ganz treffend erscheint, obwohl die Traurigkeit in vielen Tracks genau diese Endzeit-Stimmung erzeugt. Der Kinderchor aus Tokyo unterstreicht das noch. Zum Gück werden wir in der Klavierballade „Horizons Into Battlegrounds“ gerettet: Can I hold on to you?
Aber schauen wir uns Woodkid genauer an. Mit bürgerlichem Namen Yoann Lemoine hat der am 16. März 1983 in Lyon geborene Musiker und Regisseur schon einen guten Ruf in Frankreich, wo man ihm für sein 2013 erschienenes Debüt Album „The Golden Age“ die Genres Chamber Pop und Art Pop umhängt. Der Kurier meint, es sei Sci-Fi. Selber hören, empfehle ich. Ein Besuch seiner Website woodkid.com lohnt ebenso. Der Mann ist tatsächlich der beste französische Export seit Noir Désir (man erinnere „Le Vent Nous Portera“).
7hard, a division of 7us media group GmbH Graz 2016
Seit den späten 80ern bis in die 10er-Jahre folgte ich den Songlines Australiens, hörte Triple-J Radio, lernte Midnight Oil in Byron Bay kennen und liebte live Musik in Clubs und Pubs. Ich erlebte Mega-Festivals wie „Wave Aid“ in Sydney und „Big Day Out“ in Perth. Dabei entging mir, dass auch im kleinen Graz Großes rockte. Nach meiner Rückkehr hatte ich daher viel nachzuholen, denn hier wurzelte nicht nur Weltklasse-Jazz, sondern solider Gitarren-Rock, Indie und Alternative, Metal und der ganze Wildwuchs meiner Generation.
Mittendrin in der Szene waren auch Catwalk, eine stark fluktuierende Formation rund um Johnny Schwarzinger. Der vielsaitige Bassist und Sänger brachte seit 1987 Top Musiker unter dem Motto: Nix Tschäss, Nix Fank, Nur Rak ’en’ Roul! in seine Band. Obwohl Catwalk nie aufgelöst wurde, gab es viel „Stop-and-Go“ in der Chronik der Band. Zuletzt nach 10 Jahren Stop ein deutliches Go mit dem vorliegenden Album „… Out Of Nowhere“.
Auf dem Cover der 2016 erschienenen CD erkenne ich Mario Pohn, den ich 2019 als fingerfertigen Gitarristen bei Badhoven kennen lernte. Er wurde mittlerweile von Roland „Josh“ Joham ersetzt. Die beiden anderen Gesichter sind mir nicht bekannt: Norbert Steinkellner, Keyboards und Stefan Reiterer, Drums, Bandmitglieder der Urbesetzung.
Eines vorweg: dieses Album braucht gar nicht besprochen zu werden, es besteht zu 100% aus reinem Rock. Heute würde man es Retro-Rock nennen, aber das ist ja das Gute am Älter werden, man sammelt immer mehr Erfahrung mit Klängen. Johnny Schwarzingers Stimme mit dem Markenzeichen-Tremolo ist genau im richtigen Klangteppich verwebt mit den anderen Tonkünstlern, allesamt Profis, auch wenn heute der Kurzhaarschnitt kein Headbanging ermöglicht.
Rockmusik in 13 Songs über eine Stunde und 13 Minuten ist auf diesem Album zu hören, fetzige Songs, alles Eigenkompositionen, mir fehlen nur mehr starke Balladen wie Shadow of a Shade. Auf der Band-Website liest man: „Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, genau das zu machen wofür wir in der letzten Epoche bekannt waren. Geniale Songs, perfekte Live-Shows und Power ohne Ende.“ Damit ist doch schon alles gesagt.
Gerald Ganglbauer
PS.: Die Band plant ein erneutes Comeback am 27. Februar 2021 bei einem Wohltätigkeitskonzert in Stattegg.
Einzelheiten im Gangway Cult-Mag und Tickets im Web Shop des Veranstalters. Am besten gleich Karten kaufen.
Verflucht nochmal, immer nehme ich mir zuviel Arbeit von Festivals mit nach Hause. Aber wenn es Musik gelingt, meinen schweren Körper mit Leichtigkeit zu bewegen und dunkle Gedanken über die bedrohlich nahe kommenden Regenwolken zu erhellen, ist das wohl eine Besprechung wert.
So verhält es sich mit dem neuen Shake Stew Album „(A)live!“, das erst vor zwei Wochen das Licht der Plattenwelt erblickt hat und deshalb noch nicht so recht weiß, wo es hin gehört. Am Leibnitzer Grottenhof war es beim traditionellen Open Air des 8. Jazz & Wein Jazz Festival Leibnitz 2020 gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das silberne Übertragungsfahrzeug des ORF stand hinter der Bühne und nahm für OE1 jeden leisen Ton auf, während Programmchef Andreas Felber, gebürtiger Salzburger, Jahrgang 1971, seit 1991 in Wien, der launigen Moderation des Bandleaders Lukas Kranzelbinder (Kontrabass, E-Bass und marokkanische Guembri) konzentriert lauschte. Es schien mir, als ob er sich hinter dem gewaltigen Bart, den er seit Beginn der Corona-Krise kultiviert hatte, verstecken wolle.
Nun, wenn der öffentliche Rundfunk quasi durch seine Präsenz allein schon ein Prädikat für eine Band ausstellt, muss sie wohl auf entsprechendem Niveau sein. Und das ist das Septett mit Clemens Salesny (Altsaxophon), Johannes Schleiermacher (Tenorsaxophon und Querflöte), Mario Rom (Trompete), Oliver Potratz (zweiter Bass), Niki Dolp (Schlagzeuger) und Mathias Koch (zweiter Schlagzeuger) bestimmt. Allein schon die Besetzung läßt auf starken Drum and Bass schließen. Und da geht die Post ab.
Eine kleine Anekdote zu „Grillen, grillen und crickets“ etc. musste ich Lukas Kranzelbinder sofort nach dem Konzert erzählen, was ihn zum Lachen brachte, weil er die BBQ Unübersetzbarkeit auch in seiner Einmoderation von „Grilling Crickets in a Straw Hut“ erklärend eingeschlossen hatte. Übrigens auch in schönes Stück um die Guembri zu demonstrieren, aber leider nicht auf „(A)live!“, sondern auf „Gris Gris“ (2019).
Kranzelbinder ist ein begnadeter Moderator: allein sein unterschwelliges Verkaufstalent ist bewundernswert, wenn er etwa sagt: „Sie werden sich leer fühlen, wenn das Konzert zu Ende geht“ und hat dazu gleich nach einer kurzen Pause eine Lösung parat: „Kaufen Sie sich eine CD um sie zu füllen“. Und das tut man gerne, denn das Album läßt sich wunderbar beim Autofahren hören. Mit Cruise Control. Dann wird es digitalisiert und bekommt einen Platz bei den anderen signierten Scheiben.
Obwohl der Wiener Tenorsaxophonist Jakob Gnigler dieses Sextett bereits vor sieben Jahren gegründet hat, ist es mir erst bei den Austrian Jazzlines 2020 aufgefallen. Ein Debüt Album mit dem schlichten Titel „Gnigler“ erschien 2014 bei Listen Closely, einem „Record Label for Jazz and Improvised Music, Sound and Creative Music“, was auch gleich ein brauchbares Genre liefert. Zeitgenössischer Jazz ist nun mal ein Drahtseilakt zwischen Komposition und Improvisation, ein Experiment, das rätselhaft bleibt. Und das ist gut so, denn auch der Zuhörer muss sich erst im Raum-Zeit-Kontinuum moderner Klänge zurechtfinden. Das letzte, nicht mehr ganz neue Album dekodiert die Methodik und folgt in seiner strengen Klangarchitektur den Ideen des innovativen Komponisten.
Das Sextett des 31-jährigen Bandleaders besteht aus Jakob Gnigler (Tenorsaxophon), Philipp Harnisch (Altsaxophon), Alexander Kranabetter (Trompete), Simon Frick (E-Geige), Judith Ferstl (Kontrabass) und Niki Dolp (Schlagzeug). Die Hälfte der Band saß bei mir im Auto als ich mich nach Mitternacht auf den Heimweg ins gemeinsame Hotel machte. Glücklicherweise geleitet von Google Maps.
Zu guter letzt stellt sich mir nun die Frage, wie ich das Album vorstellen sollte. Jakob Gnigler macht es mir nicht leicht, durch die Titel seiner Kompositionen etwas darüber auszusagen, da er sie bis auf wenige Ausnahmen („Igen“, „Zufznac“, „Kunstgriff 13“) einfach nummeriert, aber nicht einmal in der Reihung auf der Platte. Track 01 ist „eins“, 02 aber schon „sechs“, alles sehr verwirrend. Was sagt das Album selbst?
„Schlussendlich weiß also niemand, was kommen wird. Gut so.“
Schon in den ersten Sekunden von „Time“, dem Song mit dem er sein zweites Album eröffnet, stand für mich fest: diesen Jungen muss ich vorstellen, (sein Debütalbum ist mir entgangen), das ist frisches Blut in der Liedermacherszene, wie ich es seit Brian Campeau nicht mehr gehört habe. Der 28-jährige Brite schafft sogar den Spagat zu POP, bei dem man nicht gleich kotzen muss und sogar das musikalische Knie im Tanzrhythmus bewegt. Warum er das hinkriegt, erfordert etwas tiefer in die 12 Tracks einzutauchen. Doch das tu ich morgen.
Aus morgen wurde übemorgen und nun ist beinahe eine Woche vergangen. Ich hatte alle Hände voll zu tun. Sorry folks. Obwohl das auch was Gutes hat, denn nun habe ich das ganze Album öfters gehört und nehme mein erstes Urteil zumindest teilweise zurück.
Ja, Jack Garratt hat ein fantastische Stimme und weiß sie auch einzusetzen, ja, seine Art die Gitarre zu spielen ist cool und er schreibt auch gute Lieder, jedoch nein, die Arrangements mancher POP Tracks sind mir viel zu gefällig und von einer fast erdrückenden Üppigkeit, da wäre weniger viel mehr gewesen. Daher gebe ich den Sektionen Liebe und Tod 9 von 10 Punkten, seine Tanz Nummern bekommen bestenfalls eine 4. Ich hoffe, dass sein drittes Album POP-frei und homogener ausfallen wird. Singles gibts im Radio zu hören, aber wenn man sich für Zuhause ein Album zulegt oder ein Konzert besucht, sind stilistisch völlig anders gelagerte Nummern als die ausgekoppelten Hits eher enttäuschend. Besser ein stimmiges Gesamtwerk als einen Kraut- und Rübenhaufen.