Rachel Sermanni – Tied to the Moon

Middle of Nowhere Recordings
Glasgow 2015

Ich hatte das Glück, Rachel vor zwei Jahren in Gleisdorf kennenzulernen. An jenem Abend war meine Freundin krank und musste daheim bleiben. Dass ich dennoch mit anderer Begleitung dort war und von der hübschen Sängerin aus Schottland so schwärmte, hat sie mir lange vorgeworfen. Alles nachzulesen im Gangway Kulturmagazin.

Damals hatte ich Rachel Sermanni als sehr junge Frau mit der Stimme eines Engels wahrgenommen und war umso mehr überrascht, sie nun als schwarz-weißen Akt am CD-Cover zu sehen, mit rot akzentuiertem Kussmund und ihren gut getroffenen unschuldigen Augen. Will sie uns damit sagen, es sei vorbei mit der jugendlichen Naivität in der Liebe, von der ein Großteil ihrer Balladen handelt?

Den Reigen von zehn Liedern eröffnet „Run“, ein für Rachel Sermanni unüblicher und irgendwie an Patti Smith erinnernder Song mit montoner elektrischer Gitarre und ebensolchem Schlagzeug. Ein Singer/Songwriter wird zur Band setzt sich in „Wine Sweet Wine“ fort und bestimmt etwa die Hälfte der Songs. Erst in „Old Lady Lament“ und „Begin“ hört man wieder genau jene Stimme, die man vom Debütalbum Under Mountains kennt und liebt, wird aber in „I’ve Got a Girl“ schnell belehrt, dass sie auch andere Seiten zeigen kann, als die einer süßen Tomate.

„Don’t Fade“ ist für mich der Schlüssel zu Tied to the Moon. Ein samtener Song über das Verblassen von Gefühlen, in dem sie ihre Stimme sehr schön zur Geltung bringt, und der nur sehr zart instrumentiert ist. Als Gegenstück könnte „Tractor“ herhalten, ein Popsong mit schrillen Tönen und einem fast aufdringlichen Beat, der mir gar nicht gefällt.

Die Ballade vom „Ferryman“ hingegen wird begleitet von den typischen Klängen einer Ukulele und die Schottin zeigt uns, dass ihre Stimme auch noch höhere Töne erklimmt, bis sie von Streichern abgelöst wird, um die Geschichte einwirken zu lassen: I asked the old man about crossing the river. In ihrem nächsten Song, „Banks Are Broken“ lässt sie sich von einer nie zuvor gehörten Stimme ablösen, Jennifer Austin, die sie traumhaft ergänzt. „This Love“ erzählt schließlich mit den zusätzlichen Stimmen von Nicola und Fiona MacLeod von den immer wieder kehrenden Schmerzen der Liebe.

Rachel Sermanni live im Kulturkeller, Gleisdorf | © Gerald Ganglbauer

Fans der sympathischen jungen Sängerin aus den Highlands, die all ihre Lieder selbst schreibt, werden sich das neue Album zulegen müssen.

Rachel Sermanni live im Kulturkeller, Gleisdorf | © Gerald Ganglbauer

Kaiko – Melodies & Masterplans

Synthome Records
Wien 2015

Die junge Band aus Graz und Wien hatte mich zu ihrem Gig beim Augarten Fest eingeladen. Der war um 13 Uhr angelegt und das war mir zu früh, also habe ich sie ein paar Tage später im Scherbenkeller gesehen. Melodies & Masterplans ist ihre erste EP und die rosafarbige Scheibe ist noch ganz frisch (released 4.2.2015).

Kaiko (nicht die japanische Kaiko, sondern die österreichische Band) sind Kathrin Kolleritsch – Lead Vocals & Acoustic Guitar, Ines Kolleritsch – 2nd Lead Vocals, Piano & Glockenspiel, Phil Maier – Electric Guitar, Georg Schober – Bass & Backing Vocals und Thomas Gieferl – Drums & Percussion. Kathrin ist der Kopf der Band, wobei ich es besonders schön finde, wenn sie die Ukulele spielt und die Gruppe a cappella dazu singt.

Stilistisch passt es wohl in die Pop/Groove Schublade und ist mitunter sogar jazzig. Kathrin ist Singersongwriter, spielt barfuß die Gitarre und bewegt sich dabei so quirlig, dass es den Fotografen kaum gelingt, sie scharf ins Bild zu bekommen. Sie spielen Eigenkompositionen, die gut ins Ohr gehen. Hörbeispiele der fünf Tunes der EP gibts z.Zt. nur bei Bandcamp (siehe unten, dort auch zu kaufen), denn leider sind sie (noch) nicht auf iTunes.

Von anderen (älteren) Bands namens KAIKO gibt es allerdings schon einige Alben am Markt, was die Frage aufwirft, warum eine junge Band sich nicht eine neue unverwechselbare „Marke“ kreiert, wenn der Wunschname schon in Verwendung ist. Dass zwei, drei Bands unter demselben Namen (den sollte man sich schützen lassen) veröffentlichen, fällt mir in letzter Zeit immer öfter auf, weil es einem Journalisten die Recherche erschwert. Aber einerlei, ob diese Band nun weiter Kaiko oder Kaiko2(3) oder sonstwie heissen wird, das Quintett hat jedenfalls Zukunft.

Kaiko live im Scherbenkeller, Graz | © Gerald Ganglbauer und Band | © kaikoband.com

Erwin & Edwin – Moskau-Wien-Paris

Dreieck Records
Wien 2015

EPBundeshymne hin oder her, dieses Land ist tatsächlich voll großer Söhne! Meine persönliche Entdeckung am Augarten Fest waren diese zwei Oberösterreicher, ein Niederösterreicher und ein Steirer (der schönste Gitarrist der Band, von dem alle steirischen Mütter als Schwiegersohn träumen) mit dem seltsamen Bandnamen, die sich noch dazu alle vier irgendwas mit „E“ nennen (Ewald, Eberhart, Erwin und Edwin). Warum, soll vorläufig ein Geheimnis bleiben, meint Edwin in einem Gespräch nach dem Auftritt, es habe etwas mit dem Muttertag zu tun …

Die Musik ist „epic“ (das Modewort der Saison, das „geil“ abgelöst hat), die Band ist jung, die Bühnenshow voller Saft, sie haben keine Scheu, das Publikum einzubeziehen und tun es auch. „Ganz Graz“ hat sich brav acht Schritte vor und zurück bewegt und sogar die Altvorderen sind gehüpft und haben getanzt wie die Jungen.

Die Besetzung Schlagzeug, Trompete, Gitarre und Turntables legt in etwa die musikalische Richtung der Gruppe fest. Tanzbare Musik, die ein bißchen an Parov Stelar erinnert, der ja auch aus Linz kommt. Am Debüt-Album wird gearbeitet, man darf gespannt sein!

Erwin & Edwin live am Augarten Fest | Fotos © Claudia Parenzan 2015

Mehr übers Grazer Augarten Fest und die Soundportal-Bühne: www.augartenfest.at und www.soundportal.at

Holler My Dear – Eat, Drink & Be Merry

Traumton Records
Berlin 2015

Die Widmung, die mir Laura „Laus“ Winkler, die kleine Frau aus Graz mit der großen Stimme, in die CD schreibt, lautet Listen to your heart, Für Gerald! Laus. Kennt sie mich näher, frage ich mich? Doch, nein, ist bloss einer jener Zufälle, jedenfalls stammt das aus den Lyrics eines der 15 Tunes des neuen Albums Eat, Drink & Be Merry.

War es nur ein simpler Ratschlag oder versteckt sich auch tiefere Bedeutung dahinter? Essen und Trinken wäre mir noch zu wenig, um fröhlich zu sein. Als ich die Texte nachlese, bin ich hinterher auch nicht schlauer. Also lege ich die Scheibe ein und spiele sie den ganzen Vormittag rauf und runter. Mal sehen, ob ich dann die Lyrics verstehe. Damit meine ich natürlich nicht die Worte, sondern die Botschaft dahinter. Mittagszeit. Leerer Magen?

Ungewöhnlich? Frau am Schlagzeug, Herren mit Trompete, U-Bass (Bass Ukulele) und Akkordeon | Fotos © Gerald Ganglbauer 2015
Die kleine Frau aus Graz mit  großer Stimme …

Nee, nix. Und dabei isses nich mal Berliner Schnauze. Trotzdem erfüllt mich langsam kulinarische Fröhlichkeit bei dieser Musik. Ich schwinge mit, finde den U-Bass cool und dass ’ne Frau die Drums bedient und die kleene „Laus“ kann auch mit ihrer Stimme umgehen. Dann is ja alles jut. Jetzt wippt auch schon der Kopf auf den Schultern … alle anderen Zutaten kann man sich selber auf www.hollermydear.com zubereiten. Erwähnenswert ist auch das schrullige Artwork des Bassisten – essbare Instrumente – wie die Karottete, das Akkordieschen, Auberginoline, Kontranabass und Mikroffel. Mahlzeit.

… ein Herr aus Brandenburg mit Mandoline

Die Berliner Band Holler My Dear sind die Österreicher Laura „Laus“ Winkler (Vocals, Fender Rhodes, Glockenspiel, Choir) und Lucas „Lukasch“ Dietrich (U-Bass, Vocals, Choir), der Brite Stephen Moult (Trumpet, Vocals, Rap, Choir), der Deutsche Fabian Koppri (Mandolin, Guitar, Vocals, Choir), sowie die Russen Valentin Butt (Accordeon, Choir) und Elena Shams (Drums, Choir). Eine multikulturelle Band in der Tat, die unter der resoluten Hand der petiten Laus bunte Blüten treibt.

 

 

Leo Kysèla – Soul Singer, Best of Slow Songs 1988 – 2013

KyGripp music
Graz 2013

Mein Gott, wie schnell die Zeit vergeht! Vor 35 Jahren habe ich Leo Kysèla das erste Mal zu einem Gig bei den Grazer Straßenliteraturtagen eingeladen. Ohne Honorar, denn damals hatten wir zwar viel Umpf, aber keine Kohle. Heute habe ich Leo wieder auf die Bühne geholt, wieder ohne Gage, aber für einen guten Zweck. Dafür sei ihm herzlich gedankt. Seiner Berufung und seinem Beruf treu geblieben, ist er schon lange Berufsmusiker, lebt von seiner Kunst und ist in all den Jahren gereift, spielt viele Konzerte mit Freunden, wie Jörg Veselka (siehe unten) und hat ein treues Stammpublikum.

Sein aktuellstes Album „Soul Singer“ sammelt das Beste, was er an Balladen in den letzten 25 Jahren geschrieben bzw. interpretiert hat und er widmet es all den Musikern, die mit ihm in dieser Zeit gearbeitet haben. Natürlich kann er auch schnelle Hadern aus der Gitarre holen, aber in den langsamen Stücke liegt seine wahre Stärke, wenn er dazu seine Stimme richtig einsetzt und es im Publikum mucksmäuschen still wird. Solchermassen geschieht es bei seiner Blues-Crossover-Soul-Musik, die eine schöne Stimmung verbreitet, die Seele, an der es dieser Welt ohnedies mangelt.

Leo Kysèla live in der Auster | Fotos © Gerald Ganglbauer 2012

Berndt Luef & Jazztett Forum Graz – Reflections

austro mechana
Wien 2015

Berndt Luef ist sicher einer der fleissigsten Jazz-Musiker in Graz. Für dieses Album hat er Auszüge aus gleich drei Projekten zusammengestellt, die er zum Anlass des zwanzigjährigen Bestehens des Jazztett Forum Graz initiiert hatte. Nach den politischen Themen der letzten zwei Alben (Labyrinthe und Chile) hat er diese Produktion, wie er es ausdrückt, tief im Herzen des Jazz verankert und wie ein traditionelles Konzert konzipiert.

Wie schon bisher – nichts anderes war zu erwarten – sind alle Stücke meisterhaft komponiert, arrangiert, wie auch professionell im TomTone Studio von Helmut Tomschitz eingespielt, damit kein Bein ruhig bleibt. Keep swinging!

Dem Intro folgt Bluesing, dem ersten Projekt, mit schönen Harmonien (KIDPE bedeutet „keine innovativ-dynamische Programmentwicklung“), Interlude 1, das zweite Projekt, Reflections of a night, widmet sich der wunderbaren Stimme von Dorothea Jaburek, die selbst die Lyrics verfasste, dann leitet Interlude 2 in das dritte Projekt: Traveller’s Tales, Teile seiner musikalischen Reiseerzählungen, und das Album wird abgeschlossen mit PSOYG (Kompositionen im Stil von Ornette Coleman, für Viktor Palic).

In Summe ergibt das gute 60 Minuten (60:52, um präzise zu sein) völlig entspannten Hörgenuss.

Das Cover verwendet eine schillernde Arbeit von Berndts Partnerin, Viktoria Dusleag. Leider ist das Album noch nicht bei iTunes erhältlich, sondern nur als CD. Ich musste daher das Cover selbst scannen und einige Infos in der Gracenote media database ergänzen. Aber wer „echte Instrumente“ (in: Gangway Specials) von Big Band bis Funk so gut einzusetzen weiss, braucht sich um die digitale Welt wohl (noch) nicht zu kümmern.

Jazztett Forum Graz sind Thomas Rottleuthner (Bariton Sax), Patrick Dunst (Soprano und Alto Sax, Flute und Bass Clarinet), Dragan Tabakovic (Guitar), Viktor Palic (Drums), Axel Mayer (Trumpet und Flugelhorn), Berndt Luef (Vibraphone und Percussion), Reinhard Summerer (Trombone), Thorsten Zimmermann (Bass) und Klemens Pliem (Tenor Sax). Info: www.berndtluef.at

Markus Schlesinger – Don’t Be Afraid!

fingerpicking.at
Wien 2014

Der Wiener Gitarrist Markus Schlesinger wirkt sehr sympathisch, als ich ihn vor seinem Auftritt im Alpengarten Rannach in Stattegg treffe. Aber nicht nur das, der Autodidakt – der sich zwischen einem Psychologiestudium der Oma zuliebe und der geliebten Gitarre Gott sei Dank für die brotlose Kunst entschieden hat – spielt „fingerpicking“ ganz in der Tradition von Werner Lämmerhirt, Peter Ratzenbeck, Leo Kottke, Hannes Urdl, oder dem verstorbenen Gerry Lockran, eine fingerfertige Spielart, die Bass-, Akkord- und Melodiespiel auf nur einer akustischen Gitarre vereint.

Das ist Musik, die ich in den 70ern und 80ern immer wieder gerne live im Schloss Freiberg gehört habe. Ich bin sogar im Besitz einiger signierter Vinylplatten. Jetzt, 30 Jahre danach, setzt sich die Faszination, die subtile Klänge in einer elektronisch-dominierten Soundwolke auslösen, fort. Jetzt besitze ich auch eine signierte Schlesinger-CD. Diese CD ist das zweite Album in seiner Karriere und in gewisser Weise eine Reaktion auf die Rezension eines Redakteurs auf sein Debütalbum, dass es gänzlich in DUR komponiert sei. Daher kommt in Don’t Be Afraid! (eine Übersetzung des Wienerischen Originaltitels Scheiss di ned au) nun auch MOLL zum Einsatz.

So wie im Titelsong, der ausgesprochen gut ins Ohr geht. Überhaupt sind seine Eigenkompositionen großartig. Verständlich, dass er auch bekannte Tunes bearbeitet und in seinem Stil arrangiert. Das gefällt dem Publikum. Aber die eigenen Tunes wie Heureka, Don’t Worry oder My Way Part II sind die wirklichen Perlen im Programm. Nett auch, wie er so manch eine Anekdote zu seinen Liedern erzählt. Musik mit zarten Obertönen zum Zuhören!

Markus Schlesinger live im Alpengarten Rannach, Stattegg | Fotos © Gerald Ganglbauer 2015

An dieser Stelle soll auch noch auf das 6. Vienna Fingerstyle Festival hingewiesen werden. Das Akustik-Gitarrenfestival findet am 9. und 10. Oktober 2015 im Kabarett Vindobona statt. Info: www.fingerstylefestival.at

Alma – Transalpin

col legno music
Wien 2015

Seit 2011 verbindet Alma volksmusikalische Bodenständigkeit spielerisch mit komplexen Arrangements. 2013 erschien Nativa, deren Debütalbum, und nun legt die Band Transalpin als zweites Album vor.

So weit die Phantasie zu hören vermag lautet das Motto der zart blaugrauen CD, die in der Grazer Postgarage bei Pangea (Weltmusik-Reihe) präsentiert wurde. Dass just zur selben Zeit andernorts der Steirische Geigentag stattfand, war wohl Zufall. Diese drei Geigen, eine Harmonika und der Kontrabass beschallten den 2nd floor unplugged – also ohne den Einsatz jeglicher Mikrofone und Verstärker – und wurden fallweise auch noch von den jungen Singstimmen unterstützt. Das Publikum dankte es mit konzentrierter Stille, in der sogar der Verschluss der Kameras von zwei oder drei Fotografen ab und zu hörbar war.

Die fünf Musiker, ein junger Mann und vier Frauen – die, wie Barbara, eine kleingewachsene Radiojournalistin nach dem Konzert bemerkte, allesamt sogar noch kleiner seien als sie – brauchten nicht mit Körpergröße zu beeindrucken, dennoch bot ich mich an, den Kontrabass zu tragen, was dankend abgelehnt wurde.

Julia (Geige, Gesang) und ihre Schwester Marlene Lacherstorfer (Kontrabass, Gesang) stammen aus Oberösterreich, Evelyn Mair (Geige, Gesang) aus Südtirol, der Hahn im Korb Matteo Haitzmann (Geige, Gesang) ist Salzburger und Marie-Theres Stickler (Steirische Harmonika, Gesang) kommt aus Niederösterreich, und gemeinsam führen sie mit Leib und Seele (con alma y vida) vor, dass zeitgenössische Volksmusik lebt.

Ein umfangreiches zweisprachiges Begleitheft zur CD liefert Texte, Anmerkungen der Künstler und Hintergrundinformationen zu den Stücken und bietet vorweg auch gleich eine blumige Vorbesprechung des „Austrophilen“ Briten Gavin Plumley, der für den BBC und „Musikpublikationen in aller Welt“ schreibt. Ich denke mir, too much information, denn sollte nicht die Phantasie jedes Zuhörers eine „musikalische Seelenwanderung“ durch die Berge entlang eigener Wege begleiten? OK. Man muss es ja nicht lesen, einfach die Augen schließen, zuhören und hoch über die Almen fliegen.

Wer sollte sich nun gleich ein Alma-Album kaufen, ohne die Gelegenheit, sie zuerst live zu erleben? Musiksammler mit breitem Geschmack, in deren Regalwänden zwischen Philip Glass und Hubert von Goisern noch Platz für schräge Klänge ist, die manchmal mit einer Prise Jazz, dann wieder mit Minnesang oder Jodlern gewürzt sind und wohl aus Hausmusik mit offenem Blick in die weite Welt(musik) gekocht wurden. Schmackhaft!

The Tiptoes – The Tiptoes

electricAudio Recording Studios
Graz 2014

Eines Abends lief ich Albrecht Klinger (Bass bei The Base) in der Postgarage über den Weg und er erzählte mir von einer zweiten Band, bei der er mitspiele, und dass sie in zwei Tagen hier auftreten würden: Das machte mich neugierig und so kam ich wieder, um mir The Tiptoes anzuhören.

Die Sängerin der Band kam mir von irgendwoher bekannt vor. Dabei brauchte ich nur 1 + 1 zusammen zu zählen: Ich hatte sie unlängst auf der Bühne mit The Base gesehen, wo sie Norbert Wally ihre klare Stimme für „Easy When the Sun Goes Down“ und „I Bet It Rains“ geborgt hatte. Soweit der Kontext.

Der Auftritt in der Postgarage zählte zu den angenehmen Erlebnissen, auch wenn ihm in irgendeiner Weise das unverwechselbar Einzigartige noch fehlte. Das nur dieser Band Ureigene vermisste ich; und wenngleich alles ordentlich gespielt war blieb als Gesamteindruck dennoch middle of the road. Aber es könnte noch werden. Von den fünf Stücken auf der Debüt-EP haben immerhin zwei diese Qualität. Miriam Bichler textet selbst und die Lyrics von „Hide & Seek“ und „Wake Up“ sind so gut gelungen, wie die Musik von Fabio Schurischuster.

Die EP definiert die Band noch etwas unscharf, viele Elemente erinnern an Pop. Die Stimme in „Toxic“ und „Step By Step“ ist jazzig und die kleine Frau weiß, wie sie die Töne anschleift und mit hochgezogener Nase raunzt, während sie in „Hide & Seek“ unprätentiös klingt wie Julia Stone: And I watched how the years flew by/ And we met after such a long time/ … We had big fights, we lost our minds/ And I told Mum and Dad about it/ … And we sat down and we talked it all out.

Am ersten Album wird gearbeitet. Ich bin gespannt, welche Richtung die „Zehenspitzen“ einschlagen werden.

The Tiptoes live in der Postgarage | Fotos © Gerald Ganglbauer 2015

Großmütterchen Hatz Salon Orkestar – Terry Goes Around

Eiffelbaum Records
Ternitz 2014

Diese attraktive Oststeirerin ist sowas von keinem Großmütterchen – jünger als ich und ein reines Energiebündel – wenn sie ihr scheinbar gewichtsloses Akkordeon mit zarten Händen ohne Mühen hebt und senkt, quetscht und zieht – und dabei noch auf einem Bein steht – wenn sie nicht gerade quer über die Bühne zu ihren Musikern tanzt.

Sie hat es mit Ziffern – weil sie mit dem Konzert in der Pangea Reihe der Postgarage Graz gerade ihren fünften Band-Geburtstag feiert, stellt sie dem Publikum Rechenaufgaben und Quizfragen, wie zum Beispiel, welcher Buchstabe in den Vornamen aller Bandmitglieder vorkommt, usw. usf., will uns Zuhörer einbeziehen und zum Tanz verführen.

Großmütterchen Hatz sehr lebendig in der Postgarage

Im Pangea Venue war das etwas schwierig, da wir in bequemen Sofas kuschelten, aber daheim geht die Post bzw. die Polka ab, wenn man die CD einlegt oder iTunes startet und Terry umgeht. Polka jetzt nicht im Sinne von Humtatah zu verstehen, Klarinette und Akkordeon liegen zwar nahe an der fließenden Grenze zur Volksmusik, die breiteste Schublade wäre aber noch zu klein, vielleicht Tango Nuevo meets Balkan oder Jazz.

Ach, was soll das Schubladisieren, swingen wir uns gesund, lassen wir die Körper sich bewegen und die Seelen baumeln.

Am Album wechseln traditionelle Stücke mit Worldmusic, alle Rhythmen passen jedoch irgendwie zusammen, schmiegen sich in Harmonie aneinander. Saxofon und Geigenklänge arrangieren sich in natürlichen Schwingungen, die Musiker scheinen synchron zu atmen, wenn sie virtuos ihre sonst beinahe unvereinbaren Instrumente spielen. In der Tat leitet das Großmütterchen keine (Big-)Band, sondern ein gereift-schräges Salon Orkestar. Mit Kuhglocken und Almstimmung beim Jodüheh. Und das anfänglich Schräge wird zur weiten Ebene, so als ob die Welt noch flach wäre. Das schafft einen grenzenlosen Tanzboden. Tanzen ist ohnedies dringend angeraten. Wenn du dich dabei nicht bewegst, frag deinen Arzt oder Apotheker.

Das Großmütterchen Hatz Salon Orkestar sind Franziska Hatz, Richie Winkler, Simon Schellnegger und Julian Pieber.