Karlheinz Miklin – Following Footsteps

session work rec.com
Wien 2023

Karlheinz Miklin jr. – drums
Gerhard Ornig – trumpet
Emiliano Sampaio -guitar
Hrvoje Kralj – bass

Karlheinz Miklin jun. oder schlicht Karl, um nicht mit Papa Karlheinz Miklin sen. verwechselt zu werden, trommelt seit 30 Jahren. Wir kennen einander seit gut zehn Jahren aus der Indie Rock-Szene, waren gelegentlich zusammen im Tonstudio und haben im Probekeller gespielt. Der alte Haudegen ist also definitiv kein Spring Chicken mehr, dennoch hat er nach der Pandemie „following footsteps“ als sein Debütalbum released, erstmalig als Bandleader und federführender Schlagzeuger in einem Genre, das als Hausmusik bei den Miklins gehört und gespielt wurde – Jazz.

Es überrascht eigentlich nicht, dass er sich dreier begnadeter Solisten bedient, um seine eigenen Kompositionen zu spielen. Er hat schließlich auch schon zu Lebzeiten seines Dads im Trio mit Ewald Oberleitner am Bass die Felle geschlagen und mit dem Jazzbeserl gebürstet. Dabei sind ihm wohl so manche Stücke eingefallen, die er mit seinem neuen handverlesenen Quartett perfekt intoniert. Und obwohl er in die Fussstapfen seines Vaters tritt, ist vom Senior nur ein Track auf dem Album, „Tripleing“, und einer von The Base, das fast nicht wiederzuerkennende „Just Another Sky“. Alles andere sind seine Kompositionen. Der Weg zur Jazzmusik zeichnete sich ab. Vor ein paar Jahren gab es bereits ein Album mit Sigi Feigls Big Band Jazz Orchester Steiermark.

Sein Schlagwerk gibt verspielt aber präzise den Rhythmus vor, der immer wieder auch mal gewechselt werden darf, es bleibt dabei ausreichend Raum für die Solisten. Die Trompete des frisch verlobten Südsteirers Gerhard Ornig intoniert auch die schnellsten Passagen, der Bass von Hrvoje Kralj kommt gut zur Geltung und Emiliano Sampaio, brasilianischer Export und Chamäleon der lokalen Jazz-Szene, überzeugt an der Gitarre, dass er nicht nur Posaune spielen kann wie beim Graz Composers Orchestra, jener Big Band, von der sich Miklin auch Ornig geborgt hat.

Miklin und Kralj mit tube’s Gastgeber und Mentor Sigi Feigl

Die Rockmusik wird den zweifachen Familienvater und Mountain Biker nicht auf Dauer verlieren, aber jetzt ist er mit seiner neuen Band Jazzer mit Haut und Haar. Und das ist ein Gewinn für die heimische Szene. Live wieder auf der Bühne beim Village Jazz Festival III.

Web – following-footsteps.at

Eran Har Even – Shorter Days

World Citizen Music Records
Amsterdam 2024

Artwork Hagar Cohen

Shorter Days ist ein Tribut-Album für Wayne Shorter, den legendären im vorigen Jahr verstorbenen Saxofonisten und Komponisten. Wenn ich dieses Album besprechen soll, muss ich mich in Wayne’s World hineinhören und denken. Nicht in die akademische Welt unzähliger Musiktheoretiker, die ihre Papers übers Internet verstreuen, sondern eintauchen in die emotionsgeladenen Auftritte, die dankenswerterweise auf YouTube zu finden sind.

In einem 2010 im französischen Jazz à Vienne aufgenommenen Konzert reisst die Emotion Shorters Kompositionen Musiker wie auch Publikum gleichermassen mit. Ein restlos ausverkauftes Stadium in Frankreich mit Danilo Perez (Klavier), John Patitucci (Bass) und Brian Blade (Schlagzeug) demonstriert die enorme Kraft des Jazz eines schwarzen Saxofonisten aus den USA, doch wie hat sich diese Begeisterung auf einen jüdischen Jazz-Gitarristen übertragen, einen World Citizen, der in Israel geboren, in Holland lebt und im Trio mit Wouter Kühne (Schlagzeug) und Omer Govreen (Bass) spielt?

„In den letzten drei Jahren habe ich mich intensiv mit Wayne Shorter beschäftigt“, sagt der bescheidene Musiker und sammelt weitere Sympathiepunkte, „Shorter war ein grenzenloser See voller Inspiration und ich habe in seiner Lebensweise dabei auch ein tieferes Verständnis von mir selbst gefunden.“

Aus Shorters Kompositionen entstanden acht neue Arrangements, von denen Eran überzeugt war, dass sie Wayne gefallen hätten. Am Village Jazz Festival in Stattegg konnten die Besucher bereits ein Medley aus Shorter Days hören. Das Album gibt es von allen guten Outlets digital, streaming oder als CD.

Web: eranhareven.com

Dhafer Youssef – Street of Minarets

Back Beat
Wien 2023

Dieses Album ist ein Geschenk für Träumer und Kämpfer.
Für Lebenshungrige, die niemals aufgeben.
Für jene, die im Schatten kämpfen, würdevoll, unerbittlich und unsichtbar.
Für einen jungen Dhafer, bewaffnet nur
mit seiner Oud und Notenblättern, in einer eiskalten Nacht in Wien.

Das sind die ersten Worte in Dhafer Youssefs „Geständnis“, einem langen Text, der im Album abgedruckt ist. Es ist seine Geschichte, der berührende Bericht eines tunesischen Teenagers, der seiner Heimat entwurzelt in Wien strandet und sich mit seiner Musik über Wasser hält, bis hin zum Zustandekommen dieses Albums.

Auch in der CD nur mit einer Lupe lesbar

Was für uns in die Schublade Weltmusík gelegt wird, war für diesen Jugendlichen seine Folklore, die er später mit Jazz fusioniert und mit 50 plus auch Dank seiner Freunde aus der internationalen Jazzszene in dem Album „Street of Minarets“ sammelt, das höchsten Hörgenuss garantiert, auch wenn man des Arabischen nicht mächtig ist und noch nie einen Derwisch tanzen gesehen hat.

Die zwölf Kompositionen, so unterschiedlich sie auch sind, stammen allesamt aus der Feder Dhafer Youssefs, der auch die Oud spielt und seinen Gesang unglaublich verändern kann, congenial begleiten ihn dabei große Namen wie Herbie Hancock, Rakesh Chaurasia, Ambrose Akinmusire, Nguyên Lê, Dave Holland, Adriano Dos Santos Tenorio und Vinnie Colaiuta.

Street of Minarets ist Jazz in seiner schönsten Form, Jazz in weltweiter Breite.

Infos – dhaferyoussef.com

Martin Listabarth – Dedicated

Listabarth Records
Wien 2021

Cover von „Dedicated“

„Short Stories“ ist der Titel am Cover des Debütalbums von Martin Listabarth, „Dedicated“ auf seinem zweiten, und beides stimmt. Als ich die zehn Stücke des Wiener Pianisten und Komponisten live im Grazer tube’s erlebte, dachte ich sogleich an Kurzgeschichten, die er mit jeder Taste des Konzertflügels virtuos erzählt. „Dedicated“ ist noch präziser, denn jedes der Stücke ist einer Person gewidmet, die in seinem Leben eine Bedeutung hatte und Inspiration für die jeweilige Komposition war. Eine interessante Liste, von zeitgenössischen Erzählern wie Michael Köhlmeier zu Alan Turing, dem Mathematiker, der den Code der Nazis entschlüsselte, vom Fußballstar Diego Maradona bis zur früh verstorbenen Oma, die er nur von Bildern kannte.

Cover von „Short Stories“

Wie nahe sich Sprache und Musik kommen können, beweist er im letzten Stück, „Dreams of Dreams“, das Antonio Tabucchi gewidmet ist, einem seiner Lieblingsautoren.

Ich hatte mir ein „Köln Concert“ vorgestellt, doch anders als Keith Jarrett unterbrach Martin Listabarth seinen Klaviervortrag zwischen den Stücken und erzählte, wie die Kompositionen entstanden. Das machte ihn sehr sympathisch und baute gleichzeitig eine Brücke ins Publikum. Außerdem blitzte eine weitere Bedeutung des Wortes „Dedication“ durch, denn wie sonst hätte er eine solche Fingerfertigkeit mit den schwarz-weissen Tasten erlangt als durch strenge Hingabe an die Musik. Ach ja, Fußball spielt er auch noch.

Jazz-Pianist Martin Listabarth mit seinem Solo Programm im tube’s und auf martinlistabarth.at

Eran Har Even – World Citizen

Challenge Records
Amsterdam 2020

Ich frühstückte im Retzhof mit den Israelis, die als Shauli Einav-Quintett zum Jazz Festival nach Leibnitz eingeladen waren. Die fünf Musiker kamen aus aller Herren Länder zusammen, der Gitarrist Eran Har Even zum Beispiel lebt in Amsterdam. Beim verabschieden kramte er eine CD aus seinem Gitarrenkoffer: Das ist mein Solo Projekt, hörs dir an. Aber nach einem herzlichen Masel tov! landete das Album vorerst ungehört im Regal und war vergessen. Bis heute.

Als heute Morgen zufällig „World Citizen“ zum Frühstück in meiner Playlist war, horchte ich auf. Jazz genau nach meinem Geschmack. Wer war das?

Eran Har Even als Gitarrist beim Shauli Einav-Quintett

Ich suchte das Album in den Regalen und spielte es mehrmals vollständig von der CD, deren Schachtel aus Plastik, einem Jewelcase, nochmal in einem Kartonschuber steckte, was nicht sehr umweltfreundlich anmutet, und als Verpackung längst vom Digipac abgelöst wurde. Das Artwork war in viel schlichtem Weiß und Beige gehalten und auch nicht das Gelbe vom Ei. Aber akustisch war die weiße Scheibe jedoch ein Genuss, wie eben die Kompositionen eines Weltbürgers, der, wie ich und viele unserer Generation, alle Landesgrenzen ignoriert hat, unterschiedlichsten Kulturen (und Religionen) begegnet ist und sie schließlich zu seinen macht. Israel ist Heimat, Musik die Welt.

Unterstützt wird er auf dieser Reise von Xavi Torres am Piano, Haggayi Cohen Milo am Bass und dem Schlagzeuger Ivars Arutyunyan, allesamt Namen, die unsereins zwar nicht so leicht im Kopf behält, die man sich aber merken müsste.

Mehr über den Musiker, Komponisten und Musiklehrer – www.eranhareven.com

Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna – Homecoming [2CD]

Universal Music Group
VÖ: 19. September 2022

Als ich Anfang August „Homecoming“ in der Grazer Oper live hörte, war auf Besprechungen dieses Doppelalbums ein Embargo bis weit in den Herbst. Also nahm ich mir die 2 CD-dicke Box mit nach Hause und stellte sie vorerst ins Regal zu den anderen Warteliste-CDs. Der Name Christian Muthspiel war mir nicht unbekannt – er gehört schließlich meiner Generation an – aber ich konnte keinen Tune mit ihm in Verbindung bringen. Es kann zwar nicht jeder Joe Zawinul sein, dessen „Weather Report“ rund um die Welt ging, aber Ich glaube, dass ich ihn sogar in den 80ern in Graz gehört habe. Eine Zusammenarbeit mit Ernst Jandl fiel mir noch ein, aber das war keine Big Band wie das Orjazztra Vienna.

Das Orjazztra Vienna © Gangway Music Reviews
Christian Muthspiel © ORF Joseph Schimmer

Das ORJAZZTRA VIENNA sind Lisa Hofmanninger, Astrid Wiesinger, Ilse Riedler, Fabian Rucker, Robert Unterköfler, Florian Bauer (reeds), Gerhard Ornig, Dominik Fuss, Lorenz Raab, Alois Eberl, Daniel Holzleitner, Christina Baumfried (brass), Philipp Nykrin (p), Beate Wiesinger (e-b), Judith Ferstl (acc-b), Judith Schwarz, Marton Juhasz (dr, perc), Christian Muthspiel (cond, composition, musical director).

Was mir beim erneuten Anhören dieser Aufnahmen, die im Porgy & Bess inmitten der Pandemie „live ohne Publikum“ entstanden sind, auffällt, ist die Deutlichkeit der Referenzen der Kompositionen zu den Titeln derselben. Namensgebung scheint bei vielen Stücken anderer Kollegen wie zufällig oder nur vom Komponisten selbst nachvollziehbar. Hier erschaffen Instrumente – ein jeweils sechsköpfiger Holz- und Blechbläsersatz, zwei Schlagwerke, zwei Bassistinnen und ein Klavier – ganz ohne Worte Klangwelten, die vom Untergang des blauen Planeten erzählen.

Homecoming, übrigens der einzige Tune ohne Solisten, skizziert das tiefe Gefühl, wieder Daheim zu sein. Von da an gehts bergab, durch die Zerstörung unseres Lebensraumes bis zum letzten Überlebenden, und endet mit einem Requiem.

Die „Lyrics“ übernehmen dabei die Solisten mit unantastbarer Virtuosität. Sie sind großteils eine Generation jünger als der mittlerweile ergraute Meister, aus dessen Feder alle Kompositionen und Arrangements stammen, aber sie harmonieren ganz wunderbar und haben offenbar noch Spielraum für Improvisationen.

Homecoming muss man öfter hören. Die Wucht des Tribal Dance, die Zärtlichkeit der Open Strings. In seiner Diversität liegt die Kraft dieses Albums. Da kann man sich durchaus einbilden, Spuren von Philip Glass gehört zu haben. Gewidmet hat er es den Jazzgrößen Carla Bley und Steve Swallow.

Das Orjazztra Vienna wird im Oktober auf Tournee gehen.
Infos: www.christianmuthspiel.com

Gerald Ganglbauer

Spinifex – Beats The Plague

trytone
Amsterdam 2021

Mit Spinifex, diesen lästig-spitzen Grasbüscheln, habe ich vorwiegend in Western Australia Bekanntschaft gemacht. Die Samenkugelchen sind überall und Thongs schützen nicht davor, weshalb ich mir gut vorstellen kann, dass das Corona Virus keine Chancen hat, in dem heiß-trockenen Klima zu überleben. Und wenn es doch einen Versuch wagt, bläst ihm das holländische Sextett mit diesem Lockdown-Album den Gar aus.

Kein Vergleich, keine Ähnlichkeit, oder doch? Spinifex in Amsterdam und Spinifex in Western Australia (Photograph by Hesperian, Wikimedia CC BY-SA 3.0)

Nach drei Coronabedingten Terminverschiebungen waren sie dann doch laut und sehr lebendig im Grazer Stockwerk zu erleben. Mit sechs Mann auf der kleinen Bühne wurde es zwar etwas gedrängt, Jasper Stadhouders quälte seine Gitarre in nur einer Armlänge Abstand zu mir und dem energiegeladenen Philipp Moser, dessen Schlagzeug allein schon die halbe Bühne verschlang. Wir sahen uns regellrecht in die Augen. Diese intime Nähe regte an, mit den Musikern zu kommunizieren, was ich auch tat, wenn ich gerade nicht mit meinem (vorübergehend notwendigen) Gehstock auf den Boden dreschte. Die Ohren schepperten, obwohl Bläser und Schlagwerk ohne Strom auskamen. Es war mitreissend.

In zwei Sets ließen Spinifex das begeisterte Publikum wissen, wie die Pest zu schlagen sei. Mit tracks wie „The Voice Of Dust And Trash“, „Fuck The Pest“ oder „Sex And Pestilence“ bekamen wir musikalische Anleitungen, mit dieser fucking Pandemie zu leben. Alle sechs brachten sich mit kraftvollen Soli ein und diese europäische Mischung aus Musikern überzeugte mit großem Können und experimentellem Einsatz, obwohl keiner von ihnen jemals in Australien war und Spinifex gesehen hat.

Web: spinifexmusic.nl

Gerald Ganglbauer

Achim Kirchmair Trio – Sunkeeper

o-tone music
VÖ: 27.03.2020

Die Hieroglyphen Reinhard Artbergs am Album Cover „trompeten“ ein verschlüsseltes Rätsel hinaus: Achim Kirchmair, Bandleader des Trios mit Ali Angerer und Andjelko Stupar, holt sich als vierten Mann den Slowenen David Jarh. Ob er der geheimnisvolle Sonnenbewahrer ist? Seine samtene Trompete fügt sich jedenfalls wohltuend in die Klänge des Tiroler Gitarristen mit Grazer Vergangenheit und serbischem Rhythmus. In diesem Zusammenhang ist vielleicht interessant, dass ich gerade dieses Album auf der Rückreise von einem Trip ans Meer im Auto hörte. Mit dem Tempomat auf 130 hat es mich auf der Autobahn von Laibach bis Marburg begleitet.

Anders als „Going to Ladakh“, dem letzten Album des Trios, das allein durch die Instrumentierung (Tuba, Gitarre und Schlagzeug) schon unkonventionell klang, fühlt sich der Hörer in „Sunkeeper“ in einer Wolke traditionelleren Jazz, der in seiner Leichtigkeit behütet und sich jedem Tempo anpasst. In den zart gewebten Kompositionen, die zum Großteil aus der Feder Achim Kirchmairs stammen, kommt es immer wieder zu Dialogen zwischen Gitarre und Trompete, ohne sich spielerischer Freiheiten zu verwehren. Die akustische Klammer dafür wird wie bisher vom erprobt kompetenten Schlagzeuger Andjelko Stupar und dem Bassisten Ali Angerer geformt, der für dieses Album die angestammte Tuba gegen ein Saiteninstrument eingetauscht hat.

Achim Kirchmair Trio feat. David Jarh © AKT 2020

„Sunkeeper“ ist ein sanft schwebendes, leichtfüßig schönes Jazz Album, das auf eine weitere Zusammenarbeit der vier Herren nach dem Ende der Pandemie hoffen läßt.

Website: www.achimkirchmair.com

Gerald Ganglbauer

Shake Stew – (A)live!

Traumton Records
Wien 2020

Verflucht nochmal, immer nehme ich mir zuviel Arbeit von Festivals mit nach Hause. Aber wenn es Musik gelingt, meinen schweren Körper mit Leichtigkeit zu bewegen und dunkle Gedanken über die bedrohlich nahe kommenden Regenwolken zu erhellen, ist das wohl eine kurze Besprechung wert.

So verhält es sich mit dem neuen Shake Stew Album „(A)live!“, das erst vor zwei Wochen das Licht der Plattenwelt erblickt hat und deshalb noch nicht so recht weiß, wo es hin gehört. Am Leibnitzer Grottenhof war es beim traditionellen Open Air des 8. Jazz & Wein Jazz Festival Leibnitz 2020 gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das silberne Übertragungsfahrzeug des ORF stand hinter der Bühne und nahm für OE1 jeden leisen Ton auf, während Programmchef Andreas Felber, gebürtiger Salzburger, Jahrgang 1971, seit 1991 in Wien, der launigen Moderation des Bandleaders Lukas Kranzelbinder (Kontrabass, E-Bass und marokkanische Guembri) konzentriert lauschte. Es schien mir, als ob er sich hinter dem gewaltigen Bart, den er seit Beginn der Corona-Krise kultiviert hatte, verstecken wolle.

Nun, wenn der öffentliche Rundfunk quasi durch seine Präsenz allein schon ein Prädikat für eine Band ausstellt, muss sie wohl auf entsprechendem Niveau sein. Und das ist das Septett mit Clemens Salesny (Altsaxophon), Johannes Schleiermacher (Tenorsaxophon und Querflöte), Mario Rom (Trompete), Oliver Potratz (zweiter Bass), Niki Dolp (Schlagzeuger) und Mathias Koch (zweiter Schlagzeuger) bestimmt. Allein schon die Besetzung läßt auf starken Drum and Bass schließen. Und da geht die Post ab.

Eine kleine Anekdote zu „Grillen, grillen und crickets“ etc. musste ich Lukas Kranzelbinder sofort nach dem Konzert erzählen, was ihn zum Lachen brachte, weil er die BBQ Unübersetzbarkeit auch in seiner Einmoderation von „Grilling Crickets in a Straw Hut“ erklärend eingeschlossen hatte. Übrigens auch in schönes Stück um die Guembri zu demonstrieren, aber leider nicht auf „(A)live!“, sondern auf „Gris Gris“ (2019).

Josef Hader: „die grillen“ (ersteigert für Licht ins Dunkel im Dezember 2019)

Kranzelbinder ist ein begnadeter Moderator: allein sein unterschwelliges Verkaufstalent ist bewundernswert, wenn er etwa sagt: „Sie werden sich leer fühlen, wenn das Konzert zu Ende geht“ und hat dazu gleich nach einer kurzen Pause eine Lösung parat: „Kaufen Sie sich eine CD um sie zu füllen“. Und das tut man gerne, denn das Album läßt sich wunderbar beim Autofahren hören. Mit Cruise Control. Dann wird es digitalisiert und bekommt einen Platz bei den anderen signierten Scheiben.

Gerald Ganglbauer

Gnigler – Straight On, Downstairs, 2nd Door Left

col legno music
Wien 2018

Obwohl der Wiener Tenorsaxophonist Jakob Gnigler dieses Sextett bereits vor sieben Jahren gegründet hat, ist es mir erst bei den Austrian Jazzlines 2020 aufgefallen. Ein Debüt Album mit dem schlichten Titel „Gnigler“ erschien 2014 bei Listen Closely, einem „Record Label for Jazz and Improvised Music, Sound and Creative Music“, was auch gleich ein brauchbares Genre liefert. Zeitgenössischer Jazz ist nun mal ein Drahtseilakt zwischen Komposition und Improvisation, ein Experiment, das rätselhaft bleibt. Und das ist gut so, denn auch der Zuhörer muss sich erst im Raum-Zeit-Kontinuum moderner Klänge zurechtfinden. Das letzte, nicht mehr ganz neue Album dekodiert die Methodik und folgt in seiner strengen Klangarchitektur den Ideen des innovativen Komponisten.

Das Sextett des 31-jährigen Bandleaders besteht aus Jakob Gnigler (Tenorsaxophon), Philipp Harnisch (Altsaxophon), Alexander Kranabetter (Trompete), Simon Frick (E-Geige), Judith Ferstl (Kontrabass) und Niki Dolp (Schlagzeug). Die Hälfte der Band saß bei mir im Auto als ich mich nach Mitternacht auf den Heimweg ins gemeinsame Hotel machte. Glücklicherweise geleitet von Google Maps.

Zu guter letzt stellt sich mir nun die Frage, wie ich das Album vorstellen sollte. Jakob Gnigler macht es mir nicht leicht, durch die Titel seiner Kompositionen etwas darüber auszusagen, da er sie bis auf wenige Ausnahmen („Igen“, „Zufznac“, „Kunstgriff 13“) einfach nummeriert, aber nicht einmal in der Reihung auf der Platte. Track 01 ist „eins“, 02 aber schon „sechs“, alles sehr verwirrend. Was sagt das Album selbst?

„Schlussendlich weiß also niemand, was kommen wird. Gut so.“

Gerald Ganglbauer