80 Jahre Wolfgang Dauner – Das Jubiläumskonzert

80 Jahre Wolfgang Dauner – Das Jubiläumskonzert heißt das neue Album Dauners, mit dem der SWR sein Lebenswerk ehrt. In der Tat ist es das Beste aus den zwei Konzerten vom 23. und 24. Jänner 2016 im Stuttgarter Theaterhaus; und das gleich mit zwei Dauners: auch Sohn Florian Dauner ist Musiker, am Schlagzeug, wenn es nicht gerade von John Hiseman bedient wird.

Ich habe den deutschen Altmeister (Jahrgang 1935) einmal mit dem Bassisten Eberhard Weber im United Jazz & Rock Ensemble erlebt, aber nie Solo. Deshalb bin ich dankbar für dieses Tondokument, das man unter die großen Jazzpianisten wie Friedrich Gulda, Keith Jarrett oder Herbie Hancock einreihen kann.

Das Konzert wird mit der Eigenkomposition Drachenburg eröffnet, einem wunderschönen Solo am Piano, auf Track zwei begleitet ihn bereits Flo am Schlagzeug und auf Track drei arbeitet Dauner am Keyboard eines Moog Synthesizers, was seine Grenzüberschreitungen Richtung Fusion und Jazzrock bestätigt. Aus jungen Jahren werden Happenings mit seinem nackten Schlagzeuger Fred Braceful im Wolfgang Dauner Trio kolportiert; die habe ich leider versäumt und das wäre auch eine ganz andere Geschichte. Aber all die großen Namen des deutschen Jazz sind da: Albert Mangelsdorff steuert z.B. seinen Wheat Song bei, Christof Lauer ein großartiges Sopran Sax und u.a. gibt es sogar ein Tribut an George Gershwin zu hören.

Vater und Sohn

Das United Jazz & Rock Ensemble gibt es bereits in Second Generation auf dieser CD und Dauner und die Jungen fetzen so richtig los. Ein Jazz Album, das keine musikalischen Wünsche offen lässt und wieder einmal aufzeigt, wie breit das Œvre tatsächlich ist.

 

Großmütterchen Hatz & Klok – Salon Oskar

Eiffelbaum Records
Vienna 2017

hatz salon oskarDas fesche Großmütterchen Hatz aus dem Steirerland hatte mich zwar zur Präsentation des neuen Albums nach Wien eingeladen, aber der lange Weg von Stattegg war mir an jenem Abend zu mühsam. Doch bald darauf steckte ein handgeschriebenes Kuvert mit ebensolchem Kärtchen und der neuen CD in meinem Postkastl: „Lieber Gerald […] wir würden uns wieder über ein paar Worte von dir freuen, herzlichst Franziska Hatz„. Wir hatten uns nur einmal bei einem Konzert in der Grazer Postgarage gesehen, aber offenbar war die Sympathie gegenseitiger Natur. Klok, eine Wiener Formation im Bereich Jewish-Balkan-Jazz kannte ich noch nicht, jedoch wurde schon beim ersten Querhören des Albums klar, dass sich Großmütterchens Akkordeon mit der orientalischen Klarinette von Richard Winkler gut verstehen würde.

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Damals live in der Grazer Postgarage

Neben Hatz und Winkler, der auch am Saxofon ein wahrer Meister ist, sind auf diesem „Salon Oskar“ betitelten Album noch Jörg Reissner an der Gitarre, Roman Britschgi am Bass und Saša Nikoliç am Schlagzeug zu hören. Alle Musiker zeichnen sich auch als Komponisten aus und bis auf Britschgi, den Bassisten,  bringen sie auch ihre Stimme sporadisch zu experimentellen Texten von Hatz und Pichlbauer ein:

Tausende Traktoren/ Tanzen durch die Gurkenfelder/ Eine Frau mit roten Ohren/ Hat den Überblick verloren/ Und sie pflückt jetzt nicht mehr Gurken/ Sondern teure Abendkleider/ Sie pflückt heiße Schokolade, Tulpen, Eierschneider.

So hört sich etwa eine Strophe aus „Trattoria“ von Hatz und Pichlbauer an. Da ist man froh, wenn man auf der CD die Texte nachlesen kann, wenn auch die kleinen schlanken Grossbuchstaben im von Joanna Styrylska grafisch schön gestalteten Album bei uns Älteren die Verwendung einer Lesebrille erfordern.

Kleiner Wermutstropfen: Beim Import in meine iTunes musste ich leider feststellen, dass das Album nicht in den Gracenotes zu finden ist. Das wird hoffentlich bald nachgeholt, denn wer tippt schon gern jeden einzelnen von 13 namenlosen Tracks einer „Audio CD“ und scannt auch noch das Cover in seine Mediathek?

Musikalisch gibts nix als Lob. Aber anderes hätte ich von Großmütterchen Hatz und ihren Jazz-Freunden auch nicht erwartet. Leidenschaftliche Musiker und geschliffene Kompositionen, gepaart mit perfekter Studiotechnik und Tonmeistern, die ihr Handwerk verstehen, ergeben nun einmal gehobenes Hörvergnügen, das auch tanzbar ist.

Tausende Traktoren/ Säen Winterweizensamen/ Primfaktoren Diktatoren/ Nächte ohne Kosenamen…// Und sie pflücken nicht mehr Gurken/ Sondern Thonet Garderoben/ Tauben Himbeermarmelade/ Mäuse und Mikroben.

Amüsiert lese ich dann noch Großmütterchens selbst verliehene Bezeichnung als „Master of Social Management„… What the … ?

Kontakt: info@gmhorkestar.at

Leo’n Sky – Life Is

CD Release in Graz

Am Freitag, 12. Mai 2017 ist es im Dom im Berg soweit. Eine neue Band betritt mit einem CD Release Konzert die Bühne: Leo’n Sky. In Wahrheit ist dieses Sextett den Grazern gar nicht neu, sondern nur der neue Name des jedermann bekannten Outfits von Leo Kysèla, einem Urgestein der Grazer Soulszene, das er gemeinsam mit Joerg Veselka (Gesang und Gitarre) und seinen Freunden Jasmin Holzmann Kiefer (Gesang), Louis Kiefer (Bass und Gitarre), und den Streichern Giorgio und Chris Hammer (Viola und Violine) nun als Gruppe benennt. „Leo im Himmel“.

Seit Jahren gemeinsam auf der Bühne (2015 Lässerhof, Stattegg)

Live Is ist bereits das 12. Album Kysèlas. Am Cover ein gekrönter Affe in Denkerpose, darüber der Schriftzug LEO’N SKY hinein gequetscht, klein und kaum auszumachen der Titel, Life Is darunter. Es sieht nach einem philosophischen Konzeptalbum aus, in dem über das Leben sinniert wird. Die Reflexionen beschränken sich allerdings auf den Titelsong, ein sehr schönes Lied, in das sich alle drei Stimmen gut einbringen, das wird aber vom darauf folgenden Rolling Stones-Fetzen Honky Tonk Women gleich wieder kaputt geschlagen. Eine kleine Unterlassung: Für meine Promo CD gab es noch keine Titelmeldung bei iTunes, als ich das Album importieren wollte. Das habe ich unverzüglich gemeldet und Kygripp Music wollte sich gleich darum kümmern.

Überhaupt handelt es sich hier um ein sehr inhomogenes Album: Live Mitschnitte sind mit Studio Aufnahmen durchmischt. Zwar in bester Tonqualität, aber ich höre lieber das eine oder das andere, einen Konzertmitschnitt oder ein stimmiges Konzept. Oder gleich eine Doppel-CD. Von beidem hat es zu wenig für ein kombiniertes Album. Irgendwie denke ich dabei an Kraut und Rüben, sorry! Da gibt es Hadern zum Mitsingen, wie Back in the Days oder Living on a Freewave, die erschlagen die ruhigen Stücke.

In den langsamen Balladen und den Stimmen liegt die Stärke, auf das Fußstampfen, das Schlagzeug der One-Man-Bands, könnte Leo verzichten. Die Älteren unter uns kennen das noch, „aus jenen Tagen, als sie noch jung und schön waren“. Die Jüngeren würden eine Beatbox und Hip-Hop vorziehen.

Jasmin Holzmann Kiefer, Leo Kysèla und Jörg Veselka

Um Missverständnisse auszuschließen: Ich liebe die Musik von Kysèla und Veselka; kenne und wertschätze beide seit langem. Dieses Album will allerdings zu sehr verkauft werden, sogar der Teaser, seine eigene Werbung, ist als „Bonus Track“ mit drauf und schreit: “ Kauf mich!“. Muss man löschen.

Es gibt Gespräche mit einer ”großen“ Plattenfirma, aber inzwischen haben die Musiker schon rund 10.000 € für die Produktion der CD vor finanziert, die wieder herein kommen sollten. Leben kann ohnedies keiner vom Verkauf, das ist bestenfalls Taschengeld, der Lebensunterhalt kommt von den Gigs und den Radiostationen via AKM, Geschäftliches passt gar nicht zu den beiden großherzigen Musikern, die ein  Benefizkonzert für mich gespielt haben. Jetzt machen wieder beide bei meinem Parkinsong Duets Projekt mit, was mich riesig freut.

Aber jeder Leser sollten sich sein eigenes (Hör-)bild von Leo’n Sky machen, dazu findet man Clips wie den erwähnten Teaser auf YouTube, und natürlich Infos auf www.soul.at – für diese Seite „und den ganzen Internetkram“, wird übrigens ein eifriger junger Mitarbeiter gesucht. Vielleicht ein Blogger?

Überlassen wir Leo Kysèla das Schlußwort:

„Was soll ich sagen: Bin stolz auf dieses, mein 12. Album – YEAH !!!!!!!!!!!!!!!!!“

The Ghost and the Machine – Ohne Titel

LILI Records
Wien 2016

Es war einem jener glücklichen Einfälle zu verdanken, dass ich die Bekanntschaft mit The Ghost and the Machine machte. Letzten Donnerstag Abend – ich war mit meiner Gang Kegeln gewesen und machte danach einen längeren Zwischenstopp bei IKEA (geöffnet bis 21 Uhr) – wartete ich an einer Kreuzung, als ich spontan die Eingebung hatte, noch bei der Postgarage vorbeizuschauen. Ich zwängte meinen BMW aus der linken Spur, nahm die Abkürzung quer über den Grünstreifen und parkte wenige Minuten später vor dem Venue. Obwohl das Lokal dunkel und verlassen aussah, war ein Doppelkonzert im Gange. Beide Bands (die andere war Town of Saints aus Holland) waren mir nicht bekannt, aber ein gemütliches Sofa direkt vor der Bühne war frei, denn es waren überraschend wenig Zuhörer da, also ließ ich mich hineinfallen und hörte mich ein.

The Ghost and the Machine LIVE in der Postgarage

Drei Leute waren auf der Bühne, links ein Schlagzeuger, der als Ossi-Export vorgestellt wurde. Ich freute mich schon, wieder jemand aus Australien zu treffen, wurde aber vom Bass auf der rechten Seite sogleich korrigiert, Matthias Macht sei kein Aussie, sondern Deutscher aus Dresden. Die Dame, die mir geantwortet hatte, war Heidi Fial, eine Wienerin mit sehr schönen Augen. Zentrale Figur war Andi Lechner, ein junger Herr, der zwei uralte Resonatorgitarren bediente, was der Band den typisch blechernen Sound zwischen Blues und Jazz verlieh.

Doch nicht nur die National (eine Resonatorgitarre wie die Dobro) ist ein seltenes Instrument, auch Frauen am stehenden Kontrabass sind nicht oft zu sehen, weshalb ich ihr scherzhaft vorschlug, doch auf einen U-Bass (U steht für Ukulele) umzusteigen, damit hätte sie weniger zu schleppen, worauf sie meinte, dass der nie so gut klingen würde wie ihr Doublebass. Damit hatte sie recht. Ich habe zwar schon sehr guten U-Bass gehört, das Klangvolumen eines grossen Holzkörpers kann er jedoch nicht imitieren. Musikalisch sind durch diese Instrumentierung bereits viele Parameter vorgegeben, es ist also nicht verwunderlich, wenn ich wiederum an Memories of an Old Friend erinnert werde, das wunderschöne Album der Westaustralier Angus & Julia Stone.

Selbstdarstellungen | Fotos © Malin Walleser 2016

Ein von Heidi Fial  akribisch gezeichnetes 16-seitiges Begleitheft zur CD liefert die Texte. Man muss den feinen Nuancen der allesamt im Kollektiv geschriebenen Lyrics genau zuhören, um den Schmerz, die Hoffnung aber auch die essentielle Lebensfreude aus den Zeilen zu destilieren, die Eingeschlossenheit, Krankheit, und Einsamkeit evoziiren, aber auch die Freiheit in der Kunst und jene der Künstler, ihr Leben zu gestalten, sei es in verwaschenen Fotografien oder in sich unendlich wiederholenden Ornamenten, die zwar wie Maschinensprache anmuten, durch die Abwesenheit von Farbe aber etwas geisterhaftes an sich haben, wie auch der Räucherbergmann aus dem Erzgebirge und der Nussknacker, die Repräsentanten des Debütalbums ohne Titel.

Natalie Ofenböck & Der Nino aus Wien – Das grüne Album, Wiener Reise durch die Steiermark

Charlie Bader
Wien 2016

Die Vorgeschichte: Der Nino aus Wien war mir vage bekannt und ohne ihn jemals gehört zu haben stellte ich ihn mir wie eine Fusion aus Extremschrammeln mit Voodoo Jürgens oder Attwenger und Haindling vor. Als er dann mit Natalie Ofenböck im Programm des steirischen herbst auftauchte, wollte ich ihn mir anhören. Am 1. Oktober überließ ich meinen Gästen von einer Gartengrillerei am Nachmittag das Haus für den Abend und fuhr in die Stadt, wo er als mein zweiter Programmpunkt nach dem Dom im Berg im Orpheum auftreten würde. Das alles zog sich in die Nacht hinein, ich konnte die Augen kaum noch offenhalten, so dass ich nicht mehr warten wollte und meine Karte einem überraschten jungen Mann schenkte, der für seine Freundin noch eine Karte für das ausverkaufte Konzert erwerben wollte. Ich schlief bei einer Bekannten und ließ meine Gäste bis weit über Mitternacht ohne mich feiern. Der Nino aus Wien blieb mir also unbekannt.

Das grüne Album: Vier Wochen später hatte ich das Album, eigentlich ein Gedichtband mit beiliegender CD, zur Besprechung in Händen. Nun, die Gefühle wechselten ganz extrem. Das Buch hat 80 Seiten und ist schön gestaltet, schließlich ist Natalie Ofenböck Grafikerin, die auch schon seine früheren Alben entworfen hat. Nino Mandl ist ein Wienerlieder Sänger, der auch die meisten Texte beigesteuert hat und beide sind noch keine 30 und verkaufen sich aus der „Alternative Music“ Schublade. Und diese beiden Wiener begeben sich auf die weite Reise in die Steiermark, vom steirischen herbst beauftragt, und nehmen 15 Lieder in Graz auf, die einen weiten stilistischen Bogen spannen und nach meinem Ermessen weit weg von der Avantgarde liegen, die dem steirischen herbst einmal zu eigen war.

Ich schüttle den Kopf und frage mich, ob die ihr Publikum verarschen wollen mit dieser Sammlung von an Kinderlieder erinnernden Zweigesängen und gerade noch brauchbarer Hausmusik. Ofenböck singt begeistert falsch und Mandl raunzt und da kommen Sauflieder wie „Mischung“ und ich verkneife mir abzudrehen, dann folgt neue Volksmusik in „Auf nach Graz“, Rock in „Vulkanland“ und Pop in „Der Bürgermeister“, dann wieder 70er-Jahre Gitarrensound in „Grenzmoor“… einfach Kraut und Ruabn auf guat Steirisch. Vielleicht verkauft sich das in Wien als Kulturgut aus der Provinz, viele Steirer werden sich mit dem grünen Album wohl kaum identifizieren. Abgesehen davon kann ich mir nicht erklären, wieso und warum ausgerechnet der steirische herbst Herausgeber dieses Albums war?


Natalie Ofenböck & Der Nino aus Wien im Orpheum | Video © raiRau7 2016

Nick Cave – Skeleton Tree

AIR Studios
London 2016

Nick Cave und ich haben einiges gemeinsam: Wir sind gleich alt, lebten beide in Australien und lieben Musik und Literatur und das Internet. Ich habe ihn zwar nur einmal in Wien getroffen, aber ich weiß, dass wir beide auch die dunkle Seite der Welt kennen, wenn wir um einen geliebten Menschen trauern und das öffentlich tun. Ich in Büchern, er mit einem Album wie Skeleton Tree, Trauerarbeit für den Verlust seines Sohnes. Am 14. Juli 2015 verunglückte Arthur Cave tödlich, der 15-Jährige stürzte an Englands Südküste von einer Klippe.

Das Cover ist schwarz. Kein Design. Kein Verkaufsspin. Cave schenkt es einfach der Welt. Weltweiter Release über das Internet. Cave läßt die Welt teilhaben an seinem Verlust, aus dem die Welt wiederum wunderschöne traurige Lieder erfährt und die Bad Seeds den Ton wie immer auf den Punkt treffen.

Ich höre und liebe die Lieder von Nick Cave & The Bad Seeds nun schon seit 1983, also seit der Bandgründung mit Blixa Bargeld in Berlin, dann dem „Himmel über Berlin“ (Wings of Desire), das sind bereits einige Jahrzehnte, „The Ship Song“ ist immer noch einer meiner Alltime-Favorites. Das gegenwärtige Album ist jedoch das dunkelste: „When you feel like a lover, nothing really matters, when the one you love is gone.“ (I Need you) hat mich zu Tränen gerührt.

Und da ist auch noch „One More Time With Feeling“ ein zweistündiger, in Schwarz-Weiß gedrehter Film. Auch darin Trauerarbeit. Die Kameras zeigen ihn bei der Studioarbeit, in die Aufnahmen sind Interviewszenen hineingeschnitten, in denen Cave über den Sinn des Lebens und den Tod reflektiert. Den Film habe ich noch nicht gesehen und will ihn vielleicht auch gar nicht sehen. Die Musik berührt mich tief genug und die Worte, sagt Nick Cave, sind mächtig. Dem kann ich nur zustimmen.

Nick Cave & The Bad Seeds | „I Need You“ 2016

Nick Cave & the Bad Seeds’ sixteenth studio album, Skeleton Tree, is out now on vinyl, CD and across all digital platforms.

Glass Animals – How to be a Human Being

Universal Music
Wien 2016

Ich hatte plötzlich Lust auf Pop. Nein, ich werde mein Radio nicht auf Ö3 zurück drehen. Nicht einmal im Auto. Aber ich bin neugierig, was den Erfolg von Popmusik ausmacht und höre einmal genauer hinein. Nach dem Erfolgsalbum „Zaba“ ist nun das zweite Album der englischen Indie-Rockband Glass Animals erschienen. Glass Animals sind eine Band, die im großen, vielfach als eintönig abgetanen Indie-Pop-Kosmos einen ganz eigenen „abgedrehten“ Sound kreiert hat, hört man. Ich kannte sie nicht, aber irgendwie habe ich dabei an Stevie Wonders „The Secret Life of Plants“ (1979) denken müssen, wie es sich heute vielleicht angehört hätte.

Verpackt ist die Scheibe recht hübsch und wie es sich für Indie gehört in Papier, nicht Plastik. Man bekommt ein Heft mit den Lyrics dazu, dazwischen Fotos von ganz normalen menschlichen Wesen (Dave Bayley und die Band) in 50er Jahre Settings. Alles sieht handgemacht aus, in erdigen Farbtönen und Pixel-Look von Mat Cook.

„Life Itself“, die erste Nummer von „How To Be A Human Being“ brennt sich mit seinen Jungle’esken Drums und dem eingängigen Popsound Stück für Stück tiefer in die Gehörgänge. „The Other Side Of Paradise“ habe ich sogar schon auf FM4 gehört. Pop passt also überall hin. Vielleicht ist es einfach nur wichtig, den Chorus in angenehmen Harmonien endlos zu wiederholen, bis man ihn nicht mehr aus dem Kopf kriegt. Wie auch immer, es klingt so als hätte die neue Glass Animals-Platte ordentlich Potential für viele zum Release des Sommers, respektive des Jahres zu werden, wünscht sich der Vertrieb. Pop ist schließlich die Abkürzung von „populär“ und ich denke, dass eineinhalb Millionen Aufrufe des folgenden Videoclips durchaus das Pop-Kriterium erfüllen.

Andreas & Katharina Klinger-Krenn – KlingerKrenn

HOERMIRZU
Graz 2016

Ich kenne Andreas „Ondi“ Klinger nun bereits seit einigen Jahren und gebe zu, dass ich ihn mag. Aber die Stimmung, die dieses Debütalbum in der neuen Formation mit seiner Frau in mir evoziiert – dieses abwechselnde Getrieben werden von schnellen Drums und dann wieder Schweben wie auf einem Klangteppich – ist, frei von persönlicher Sympathie, einfach großartig. Vielleicht weil ich beim ersten Abspielen meinte, Matt Berninger zu hören, manchmal auch John Cale, sich aber dann doch ein unverwechselbares Hörerlebnis einstellte, das seinen Ausgang von Klingers Bariton nimmt, in die sich die zartere Stimme Krenns gefühlvoll einbettet.

Wie ist das nun im Einzelnen? Nach einem lieblichen instrumentalen Einstieg, dem siebeneinhalb Minuten „Ascent“ folgt gleich ein Geständnis: „Zumindest sind wir beide Feiglinge“, eine Nummer, deren Geschwindigkeit einen mitzureißen versteht wie Barack Obamas Lieblingsband, The National. Und irgendwann im Tune wechselt das Tempo abrupt und das Duo Klinger und Krenn setzen ihren Sprechgesang akzentuierter fort, bis die rollenden tobenden Drums wieder die Komposition übernehmen. „Puttin‘ it on us“ reminisziert die VIECH-Vergangenheit mit Choral gebrüllten Refrains, überhaupt hat jedes Piece seine ganz spezielle Eigenheit.

Ob der Umzug des Ehepaars Klinger-Krenn von Graz nach Leipzig den Musikstil beeinflusst hat, ist schwer zu sagen. Leichter fällt es mir zu behaupten, dass Vergleichbares in Graz nicht zu hören ist. Aber wie viele Paare machen schon ein Konzeptalbum zu ihrem erstem Hochzeitstag?

„Eine dieser erfundenen Geschichten“ ist so ganz nach meinem Geschmack, schräge Rhythmen (Günther Paulitsch an den Drums und Gabriel Huth am Bass), dunkle Chöre und Refrains wie: „I keep everything for my Baby, I keep everything for my Love“, sind zugleich helle Liebesbezeugungen des jungen Paares. Wie mich das an meine eigene Ehe mit Petra erinnert … „I don’t want you to die“ wird im letzten Tune wie ein Mantra wiederholt und langsam ausgeblendet in die Stille. Der Hörer verharrt eine Weile in ihr und hört im Kopf die Worte nach. Ach, die Liebe …

Andreas Klinger und Katharina Krenn, 29. August 2016 | Foto © HOERMIRZU und Gerald Ganglbauer 2016

Katharina Krenn und Andreas Klinger starten mit diesem Album in ihre gemeinsame musikalische Zukunft. Nach ihrer Hochzeit im August 2015 und der anschließenden Reise durch Frankreich begannen die beiden ihr „Hochzeitsalbum“ zu komponieren und veröffentlichen dieses nun ein Jahr danach, an ihrem ersten Hochzeitstag am 29.8.2016. Andreas und Katharina nennen es „eine emotional tiefgehende Albumproduktion. Das Album spiegelt unseren Alltag wieder, die begeisterte Liebe, die notwendige Gesellschaftskritik, die düsteren Ängste, die aufschreienden Revoluzzer-Pläne. KlingerKrenn, das Album, das sind wir. Straight. Es zeigt unsere Gedanken in den Texten, unsere Emotionen in den Harmonien und unsere Euphorie in den Melodien. Der Spielraum zu improvisieren und der Drang zum Ausprobieren charakterisieren unsere Songs und bilden die Authentizität des Albums.“

Veröffentlicht wird das Album auf dem eigenen Label Hoermirzu und aus Musikindustrie-kritischen Gründen nur digital via Bandcamp, wo ein direkter Kontakt mit den HörerInnen möglich ist: „Ohne Werbung und Abzocke von Drittanbietern! Wir bieten unsere Musik dort gratis zum Streamen an und verkaufen sie als Download. Wer es sich gerne gratis runterladen möchte, kann das gerne per Mail anfragen! Dafür brauchen wir kein iTunes/Spotify/Apple/Amazon.“ – www.hoermirzu.com

Cassius – Ibifornia

Interscope Records
Netherlands 2016

Cassius lieben Pop-Musik, die mit Kalifornien in Verbindung gebracht wird – also solche, die beispielsweise Michael Jackson oder die Beach Boys gemacht haben. Auf der anderen Seite lieben sie die Musik der gefeierten Balearen-Insel Ibiza genauso. Dort könne man einen zehn-minütigen Loop eines Dubs spielen, in dem nichts passiert, und die Leute würden immer noch vor Begeisterung durchdrehen. Vor diesem Hintergrund haben Cassius mit „Ibifornia“ einen Ort geschaffen, der Ibiza-Underground-House und das dortige Gefühl von Freiheit mit ihrer Vorstellung von Kalifornien kombiniert. Darüber hinaus sagen die beiden, dass dieses Album zum ersten Mal in ihrer Geschichte mehr ist, als nur eine Aneinanderreihung von Tracks. Da sei mehr drauf los, wie sie gegenüber Pitchfork mit einem Lachen zu Protokoll geben: „Dieses Album inspiriert dazu, über das eigene Leben nachzudenken – dein eigenes Ibifornia zu finden, wenn man so will. Geh da hin und werde glücklich!“

Soweit der Pressetext, dem ich eigentlich nichts hinzuzufügen brauche. Außer vielleicht noch den Videoclip, der die Swingerszene auf Ibiza sehr gut visuell umsetzt. Zumindest wie ich es erzählt bekomme, als einen Arthur Schnitzler-Reigen, ein „Eyes Wide Shut“ mit weniger Klasse, dafür sehr viel mehr Alkohol und andren Substanzen.

Unheilig – Gipfelstürmer LIVE (in Österreich)

Vertigo/Capitol, a division of
Universal Music GmbH 2015

Ein wirklich allerletztes Mal eroberte der Graf im Schweiße seines Angesichts Grazer Herzen. Er sang ein letztes Mal vom kleinen Stück vom Glück und ich war live dabei, als sich UNHEILIG für immer verabschiedete – herzlich, warm und vom Grazer Publikum geliebt bis in alle Ewigkeit. Leider war ich ohne Begleitung in der Stadthalle, hatte sozusagen eine Audienz beim Grafen ohne Fotogräfin, sodass mein neues iPhone zum Einsatz kommen musste.

Aber was soll’s, es gibt genug professionelle Aufnahmen von unserem sympathischen Helden. Nach 16 Jahren auf der Bühne ist es auch kein Wunder dass er sich sehr fotogen bewegt und ganz genau weiß, wie er rüberkommt. Er läuft, fit wie ein Turnschuh, von Rand zu Rand um sich jedem zu posen. Das deckt sich mit Beobachtungen einer Freundin, die ihn beim Konzert vor zwei Jahren gesehen hat.

Meine zweite Freikarte fand auch nach einigen Telefonaten in letzter Minute keinen Ersatzbeschenkten mehr und verfiel, also schlenderte ich durch die Reihen der geschätzten 5,000 Konzertbesucher und wie erwartet fand ich auch einige alte Bekannte in der UNHEILIG Fangemeinde.

Apropos schlendern: Ich bin es gewohnt, ständig meinen Platz und damit meine Perspektive auf das Geschehen zu verändern, die meisten Besucher scheinen jedoch am einmal gewählten Ort zu kleben, was mir ein, zwei rüpelhafte Bemerkungen einbrachte. Ein älterer Herr wurde beinahe handgreiflich, als ich seine Plastikbecher vom freien Sitz stellte, um mich auszuruhen. Ich kann einfach nicht mehr zwei Stunden nonstop stehen.

Das wiederum brachte mir binnen Minuten die höflichen Aufforderungen der Security Männer von rechts und links ein, die mir erklärten, dass das Publikum auf Stehplätzen eben zu stehen habe. Nachdem ich beiden gesagt hatte, dass mein Sitzbedarf medizinische Ursachen habe, ließ man mich in Ruhe, hätte mich aber am liebsten mit einem Sanitäter entfernt. Man kann sich doch nicht einfach an der Absperrung hinsetzen und ausruhen!

Während ich mir das Gebotene aus jedem Winkel anschaute und in den vordersten Reihen sogar in schmerzhafter Laustärke, die einem die Innereien erschüttert, anhörte, gingen mir die Lichter (der Stadt) auf, warum ihn die Menschen lieben –

  1. Sie verstehen ihn, da er auf Deutsch singt (ich erinnere mich noch gut an ein Frank Zappa Konzert in Graz, das den Künstler total frustrierte, da er keine Verbindung zum Publikum herstellen konnte. Wir gehen immer davon aus, dass Englisch-Kenntnisse weitverbreitet sind, aber Texte versteht man in der eigenen Sprache schwer, wie ist das erst in der gesungenen Fremdsprache …
  2. Er verwendet Reime, wenn auch mitunter holprige, die man sich leicht merken kann, und auch keine allzu anspruchsvolle Sprache, sondern bewährten Schlager-Wortschatz. Ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich mich umsehe, wie seine Fans die Worte synchron mit den Lippen formen, weil sie alle Texte kennen …
  3. Er bezieht das Publikum mit ein, zum gemeinsamen Singen (auch wenn es nur la-la-la ist), zum Mit-klatschen, -hüpfen und -tanzen, oder die Hände wiegen, mit oder ohne Handys/Feuerzeuge. Und alle tun es, bis in die hintersten Reihen, weil die Musik so schön zeitgenössisch dazu rockt.

Auch wenn ich seine Botschaften in Erinnerung rufe, ist keinerlei Schaden getan, wenn er etwa von der Liebe zu seiner Mutter singt. Ganz anders als seine deutschen Kollegen Rammstein (Gewaltverherrlichung), Sido (Scheiße in dein Ohr) oder Xavier Naidoo (der christliche Missionar). Durchaus positiv ist seine Hingabe zur Musik, die er den Zuhörenden durch sein eigenes Beispiel nahe bringt, da Singen ihn vom stotternden Kind zum selbstbewussten Erwachsenen gemacht hat, der sein mit Schweiß durchnässtes Handtuch, das er sowohl ekelig als auch geil findet, einer Frau im Publikum zuwirft. “Danke schön!”

Manche der Lieder von UNHEILIG werden mich wohl begleiten, wenn mir nach Kitsch und Romantik zumute ist. Man darf schließlich all seine Gefühle leben und Männer dürfen auch weinen.

Pressefoto

PS.: Beinahe hätte ich vergessen zu erwähnen, dass der Graf am Ende des zweistündigen Konzerts als letztes Überraschungsgeschenk für die treuen Fans ein neues Album von UNHEILIG ankündigte, das nach dem Ende der Tournee erscheinen werde. Kluges Marketing, denn schließlich ist die Musikbranche Big Business.