Viech – Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren

Abgesang / Hoanzl
Wien 2019

„Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren. Da kommt die nächste Welle, ich stell mich ihr entgegen. Aber dem Meer bin ich egal.“ So etwa heißt es am Ende des Titelsongs, dessen Thematik als letzter Track noch einmal anders aufgegriffen wird. Der Titel ist skalierbar, von privaten Erinnerungen, die verblassen bis zum planetaren Gedächtnis, das auch die Menschheit vergessen wird. Darin liegt die Stärke Viechs, in intelligenten Texten, die den Zuhörer herausfordern.

Die „Frequently Asked Questions“ im Track 1 spannen gleich den Rahmen des Albums. Triviales (Was will die SVA von mir?), Tiefes (Wer von uns stirbt wohl zuerst?) und zuletzt die Frage: Was soll ich tun nach diesem Lied? Das zumindest muss jeder Hörer ganz für sich selbst beantworten. Was mich betrifft kenne und schätze ich die Band schon seit ihren ersten Gigs in Graz, also lange genug, um mich gerne mit ihrer Musik auseinanderzusetzen.

Viech ist Christoph Lederhilger (Schlagzeug), Martina Stranger (Bass) und Paul Plut (Gesang, Gitarre), letzterer geht auch den Weg des knorrigen Solisten, der den „Teifl gsehn hat“, aber davon ist nichts in Viech, dort ist die Musik lieblich, durchzogen vom Klang heller Saiten und der Liebe. In der Tat gelangen dem Exil-Steirer unpeinliche romantische Liebeslieder, wie „Ich lieb dich (tu nur so)“. Das kommt wohl mit der Vaterschaft und dem 30er.

Insgesamt ein harmonisches „Feel Good“ Album.

TÖRZS – Tükör

A Thousand Arms (USA)
Budapest 2019

TÖRZS (Hungary) new album Tükör (2019)

Schön, etwas aus unserem Nachbarland zu hören. In ihrem dritten Album Tükör (Deutsch: Spiegel) verzichten die drei Ungarn gänzlich auf Gesang und spielen alle sechs Nummern instrumental ein. Ich schätze, dass es eine gute Entscheidung war, denn die Wahrscheinlichkeit etwas von den Lyrics zu verstehen, dürfte außerhalb Ungarns relativ gering sein. Nun blickt das Trio auf seine Schuhe (das ist, was das Genre „Shoegazing“ beschreibt: die Musiker verändern den Sound mit den am Boden liegenden Fußtasten ) und schwebt melodisch in atmosphärischem instrumentalen Post-Rock (und schon wieder eine Schublade).

Gut zum Chillen.

Website torzstorzs.com

Nick Cave and The Bad Seeds – Ghosteen

Bad Seed Ltd via Kobalt Label Services
Malibu, Los Angeles, Brighton, Berlin 2019

Das neue Nick Cave Doppelalbum geistert digital schon durchs Internet. CD und Vinyl ab 8. November weltweit.

The album was recorded in 2018 and early 2019 at Woodshed in Malibu, Nightbird in Los Angeles, Retreat in Brighton and Candybomber in Berlin. It was mixed by Nick Cave, Warren Ellis, Lance Powell and Andrew Dominik at Conway in Los Angeles.

Nick Cave – vocals, piano, synthesizer, backing vocal
Warren Ellis – synthesizer, loops, flute, violin, piano, backing vocals
Thomas Wydler – drums
Martyn Casey – bass
Jim Sclavunos – vibraphone, percussion
George Vjestica – guitar

Website Nick Cave Music

Timelost – Don’t Remember Me For This

Golden Antenna Records
Philadelphia 2019

Das Leben eines Musikjournalisten wird durch präzise Schubladisierung ganz erheblich erleichtert. Laut Pressetext handelt es sich um einen „Shoegazer“, und schon weiß man alles über dieses Album Debüt. Eventuell läßt man sich beim ersten Durchlauf irritieren, ob es nicht doch Noisepop oder gar Post-Punk sei, aber das Album führt melodisch und nostalgisch zurück in die 80-er Jahre. War das damals Dream Pop, Indie oder gar Grunge? Ein gut informierter Kenner der Genres weiss damit alles (und nichts) über dieses Duo aus Philadelphia und ich kann mir weitere Worte sparen. Ich würde dennoch empfehlen, das Album anzuhören und Schubladen dabei geschlossen zu halten. „We didn’t set out for this to be a concept album but there is definitely a theme within the lyrics”, schreibt Bandleader Shane Handal. “We wanted to be honest and wrote what was real to us. It just so happened we both were going through a lot at the time we were writing the album. It’s weird to throw yourself out there to the world and be so vulnerable but it felt honest and real. We wanted to put out a genuine record from the music to the lyrics.“ Also, seid nett zu den Jungs, sie sehen zwar aus wie metalhead „Bad Boys“, aber haben auch schon viel durchgemacht.

Singer and guitarist Shane Handal and drummer Grzesiek Czapla | © Adam DeGross

Morak – Leben frisst rohes Fleisch

Hoanzl Records
Wien 2018

Schade, dass Franz Morak just an dem Tag der Eröffnung des Grand Hotel Abyss (steirischer herbst) in seiner Heimatstadt Graz im Dom im Berg gastierte. Ich hätte mir das mittlerweile 73-jährige Chamäleon nur allzu gern angeschaut. Lange war vom Burgschauspieler nichts mehr zu hören, lange her, dass er eine Funktion als ÖVP Staatssekretär in der Bundesregierung innehatte (25 Jahre), noch länger (40 Jahre), dass ich zu seinen Liedern tanzte (ausflippte, wie das damals hieß) und unbedingt nach Mozambique wollte.

Ich wär so gern in Mozambique
wo die bunten Papageien
und Mademoiselles in Karamell
schrill ihre Liebe schrein

(Mozambique, 1980)

Ich bin dann doch nicht nach Mozambique geflogen (mein Leben ging andere Wege), aber ich konnte mich an jedes Wort seiner Lyrics erinnern, als ich in Ermangelung eines Konzerteindruckes seine alten LPs auflegte und bei seinem Wiener Label die neue CD bestellte, auf die ich sehr neugierig war. Drei Tage später läutete stürmisch die Klingel. Das Paket von Hoanzl Records war da: ein Vinyl Album!

Zwischen diesen Platten liegen rund 4 Jahrzehnte

Die schwarze Scheibe musste sofort auf den Plattenteller. Einmal, zweimal querhören, was so aussergewöhnlich daran ist, dass ein Rocksänger mit 70 noch eine Platte macht. Ich hab mir extra eine alte TV Show angeschaut, wo er zu Gast bei Phettberg war, um zu behirnen, was diesen Franz Morak antreibt. In den 80-ern war seine Musik wichtig für die Selbstdarstellung auf der Tanzfläche. Je wilder der freie Tanz, je mehr Tanzboden man mit seinen Sprüngen eroberte, desto mehr Aufmerksamkeit erhielt man von den Mädels. Und wenn man dann noch bei „Ich bin so einsam, ich könnte schrein“ mitsang, ging man sicher nicht alleine nach Hause. Er muss auch einsam gewesen sein, der Franzi als zarter Junge, dem so verrückte Worte in den Sinn kamen, die ein aufstrebender Tastenkünstler namens Peter Wolf saftig eingerockt hat.

Das war damals, aber was kann diese Scheibe heute? Er ist kein Leonard Cohen, der im Grab noch gut klingt, auch kein Klaus Nomi, der vor seinem frühen Tod alles gegeben hat. Er ist nur zehn Jahre älter als ich und dennoch so anders. Ein bisschen wie Boris Bukowski vielleicht, aber die theatererprobte Stimme wird brüchig. Die andere Hürde einer Besprechung seines Albums ist das fehlen jeglicher Stilrichtung. Die Texte sind zwar alle von Morak, schön seine Rezitation „Im Anfang oder die Krokodile des Dow“, aber Christian Kolonovits, ein weiteres Urgestein des Austropop, hat mit seinen Kompositionen, von Liedern, Balladen, Hip-Hop und Disko bis zum aktuellen 10-er Jahre Pop alle und keine Richtung eingeschlagen. Ich behauptete schon zuvor, dass Morak ein Chamäleon ist, viel bunter als seine schwarze Zwischenzeit. Was er wohl seither gemacht hat?

In meiner Plattensammlung, wie in fast jeder der Baby-Boomer, sind „Schizo“ (1980) und „Sieger sehen anders aus“ (1983) zu finden, wegweisend, kritisch, spöttisch, tanzbar … wird „Leben frisst rohes Fleisch“ bei der heutigen Jugend auch auf ihre Playlists kommen? Digital natürlich, denn wer ausser DJs dreht denn noch Platten um? Ich glaube nicht. Die Tiere aus diesem Zoo hinterlassen keine Spuren, er hat kein Mitleid mit den Wölfen, weiß auch nicht, warum er noch so fröhlich ist, das fragten sich schon viele, aber die Ratten verlassen das Schiff noch nicht, das wussten The Base bereits 2013.

nur auf diesem
großen weißen schiff
[…]
is keine einzige miese
kleine beschissene
ratte zu sehen
oder?

(Ratten)

Oversexed and underfucked ist ein „It-Girl“ in einem von wenigen englischsprachigen Songs. Aber schon in der gesprochenen Einführung „Im Anfang oder die Krokodile des Dow“ erfahren wir den wahren Grund der Schöpfung: das liebe Geld.

und er schuf den menschen nach seinem bilde
und er schuf ihm ein weib und alles brot und alle spiele
und viele viele krokodile

(Im Anfang oder die Krokodile des Dow)

Warum Krokodile? Es reimt sich einfach trefflich auf alle Spiele. Klischees, die irgendwie aber doch nicht abgelutscht sind, weil er sie verdreht oder den Kontext ändert. Die Würfel sind gefallen, alea iacta est.

Aha soso jaja.

Dennoch: ich mag sein Aufbegehren im hohen Alter, wenn man sich auf den Abgang vorbereitet und noch schnell ALLES machen will, sein Leben zusammenräumt und die ganze Bucket-List erledigt. Mir geht es so ähnlich mit meinen Zeitschriften, Büchern und dem Album mit den Duetten. Ich werde Franz Morak fragen, ob er nicht eines oder zwei auf dem „Volume Two“ mit mir aufnehmen will.

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Info www.franzmorak.at

Noorvik – Omission

Tonzonen Records
Krefeld 2019

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Auflegen, zurücklehnen und Augen zu. Das Album ist beste Filmmusik fürs Kopfkino!

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Photograph by Lothar Saberath

Die zweite CD des Kölner Quartetts macht uns erst nur die sichtbare weiße Spitze des Eisbergs hörbar, aufgenommen aus der Luft, vielleicht von einer Drone, dann lassen die vier Polarforscher Arnd Finke (drums), Hennes Ernst (guitar), Dominik Hornung (bass) und Johannes Schreiter (guitar) die Hörer klamm vor Kälte im Polarmeer schweben, im verborgenen, und nein, ich möchte kein Eisbär sein, im kalten Polar. Wir können nur vermuten, dass sich ein Großteil des Eises in der Dunkelheit befindet, die zu durchdringen eine Stimme nicht imstande wäre.

Info: www.noorvik.de

Flickentanz – Handgemacht

Silvertree Records
Wien 2019

flickentanz_handgemacht„Handgemacht“ ist das Debütalbum der Wiener Liedermacherin Daniela Flickentanz, und handgemacht auch die einfache, schöne Musik, mit der die Künstlerin vornehmlich über die Liebe nachdenkt.

Handgemacht ist auch das Crowdfunding der CD und Danielas persönliches Marketing. Interessant, welche Wege sich einer jungen Künstlerin heutzutage öffnen. CD-Präsentation 25.9.19 um 19.00 im Theater Arche, Wien.

Info: www.flickentanz.at

Simon Fanta – Eigenmarke

redpmusic
Wien 2019

Eigenmarke

Als „Premium Quality German Rap“ preist der virtuelle Sticker das zweite (nach „Amsterdam“) digitale Album des noch ganz jungen Wiener Hip-Hop Musikers an. Nicht mein Genre, aber ich höre neugierig rein und bin ganz überrascht.

„Eigenmarke“ ist auch für meine Generation (Baby-Boomer) hörbar und sehr aufschlussreich. Denn für Simon Fanta sind schon die „Zero’s“ historisch, als man noch CDs auflegte und nicht gern allein war. Die Labels wollten Gangster-Rap, die Rapper „Gold and Chicks“. All das ist heute out und wird in den frischen Texten mit viel Ironie begraben. Trotzdem ist man nicht gern allein, Mädels aufreissen und sich trennen unumgänglich … hm, war das in den 70ern denn anders … bloß heute gibts „YouPorn, aber der macht auch nicht mehr geil“. Und „es wird weiter gehen“, Respekt, immerhin man macht sich auch Gedanken für „irgendwann“, viel später, in der Rente.

Ein Wort noch zum gegenwärtigen Konsumverhalten (der Jugend). Music und Music Videos sind untrennbar verknüpft, weshalb ein Besuch bei www.simonfanta.com dringend anzuraten ist.

Thilo Seevers Ensemble – Storytelling

TUN Records
Graz 2018

Thilo-Seevers-Ensemble-Storytelling„Das Einzigartige an der Short Story ist, dass wir alle eine erzählen, leben, niederschreiben können“, schrieb Christina Stead, die australische Romanschriftstellerin. Nachzulesen in Michael Wildings Einführung zu Air Mail from Down Under, einem Band voller Kurzgeschichten, erschienen vor vielen Jahren in einer anderen Welt. Aber Geschichten lassen sich nicht nur am Lagerfeuer weiter erzählen. Zur litarischen Ausdrucksform gesellt sich beispielsweise Ausdruckstanz, den schon Urvölker wie die Aborigines praktiziert haben, bis zur Musik, wie jener des jungen deutschen Pianisten Thilo Seevers, der stolz auf eine Ausbildung an der Grazer Kunstuni zurückblicken darf.

Sein Ensemble, zu dem die großartigen Musiker Ivar Roban Krizic (Bass) und David Dresler (Schlagwerk) zählen, hat mit „Story Telling“, Anfang 2018 schon das zweite Jazz Album aufgenommen, wobei er mir persönlich bisher nur als Keyboarder bei Luka Sulzers Saint Chameleon bekannt war.

Ich hatte im Generalihof Gelegenheit, mich mit ihm zu unterhalten und zumindest ein halbes Konzert bis zum urplötzlich im zweiten Set einsetzenden Regenguss live zu erleben – und es bis unter die Haut zu genießen.

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Tse im Generalihof, in der Gamsbart Jazz Reihe | Foto © 2019 Gerald Ganglbauer

Die wertvollen Instrumente mussten schnell ins Trockene gebracht werden, und auch ich musste das Verdeck meines Cabrios rasch schliessen. Als Trost gab es für die zahlreichen Besucher CDs zu erwerben, die das Open Air Konzert digital vervollständigten.

Vielleicht höre ich ihn auch bei einem Saint Chameleon Auftritt, deren Debütalbum „Mockingbird“ (auch vom Vorjahr) mir bisher noch nicht unter die Finger gekommen ist. Dabei kenne ich die Band schon seit fünf Jahren und vielen Gigs. Auch gut. Ich werde allenfalls berichten.

Band Info: www.thiloseevers.com

Wolf Prayer – Echoes Of The Second Sun

Barhill Records
Berlin 2019

Die Fotografie der drei bärtigen Herren erinnert mich an eine Sandsteinwand in Südaustralien, aber wie mir die Fotografin (und Co-Songwriter) Lisa Brehe-Krokowski bestätigt, sei das Foto in der Pfalz an einem kalten Tag im Januar irgendwo im Pfälzer-Wald vor einer Felswand entstanden.
Aber auch den Namen der Band assoziiere ich mit Wolfmother, auch wenn ich gar nicht so vertraut mit deren Œuvre bin, um musikalische Parallelen zu suchen.

Jan Sprengard, Tim Hansen und Matthias Schorr sind jedenfalls Berliner in klassischer Rockband-Besetzung – Gitarre/Gesang, Bass, Schlagzeug – und haben vermutlich nie mit den seit beinahe 20 Jahren erfolgreichen Kollegen aus Erskineville (meiner alten Nachbarschaft in Sydney) zusammen gespielt.

Der Wolf als mythisches Symbol ist jedenfalls beiden gemein, sogar das Echo der zweiten Sonne könnte aus der südlichen Hemisphere kommen. Aber egal, da die Lyrics nirgends zu finden sind, können sie nicht solches Gewicht haben. Indianische Mythologie wird am ehesten noch im Artwork von Timur Khabirov ausgedrückt.

Wolf Prayer | Foto: Lisa Brehe-Krokowski

Alternative Rock ist das Handwerk der Musiker, das zu beherrschen sie mit ihrem Debütalbum 51 Minuten lang ausführlich demonstrieren. Mit verzerrter Gitarre, einer Stimme die ein Rudel Wölfe herbeilocken könnte und auch manchmal wie Andrew Stockdale klingt, einem Bass den man im Bauch spürt und harten Schlägen auf die Trommelfelle. Das erwartet man auch von Stoner Rock oder ähnlichem Retrosound bis dann mit „According To The Rule“ ein überraschend sanftes Stück den „Krach“ unterbricht. Beim zweiten Durchhören fiel mir bei „Shapeshifter“ auch Dancing With Wolves ein.

Wäre interessant, die Jungs live zu erleben. Im Moment touren sie durch Deutschland und vielleicht rocken sie auch mal in meinen Gefilden.

Band Info: www.wolfprayer.de