Karlheinz Miklin – Following Footsteps

session work rec.com
Wien 2023

Karlheinz Miklin jr. – drums
Gerhard Ornig – trumpet
Emiliano Sampaio -guitar
Hrvoje Kralj – bass

Karlheinz Miklin jun. oder schlicht Karl, um nicht mit Papa Karlheinz Miklin sen. verwechselt zu werden, trommelt seit 30 Jahren. Wir kennen einander seit gut zehn Jahren aus der Indie Rock-Szene, waren gelegentlich zusammen im Tonstudio und haben im Probekeller gespielt. Der alte Haudegen ist also definitiv kein Spring Chicken mehr, dennoch hat er nach der Pandemie „following footsteps“ als sein Debütalbum released, erstmalig als Bandleader und federführender Schlagzeuger in einem Genre, das als Hausmusik bei den Miklins gehört und gespielt wurde – Jazz.

Es überrascht eigentlich nicht, dass er sich dreier begnadeter Solisten bedient, um seine eigenen Kompositionen zu spielen. Er hat schließlich auch schon zu Lebzeiten seines Dads im Trio mit Ewald Oberleitner am Bass die Felle geschlagen und mit dem Jazzbeserl gebürstet. Dabei sind ihm wohl so manche Stücke eingefallen, die er mit seinem neuen handverlesenen Quartett perfekt intoniert. Und obwohl er in die Fussstapfen seines Vaters tritt, ist vom Senior nur ein Track auf dem Album, „Tripleing“, und einer von The Base, das fast nicht wiederzuerkennende „Just Another Sky“. Alles andere sind seine Kompositionen. Der Weg zur Jazzmusik zeichnete sich ab. Vor ein paar Jahren gab es bereits ein Album mit Sigi Feigls Big Band Jazz Orchester Steiermark.

Sein Schlagwerk gibt verspielt aber präzise den Rhythmus vor, der immer wieder auch mal gewechselt werden darf, es bleibt dabei ausreichend Raum für die Solisten. Die Trompete des frisch verlobten Südsteirers Gerhard Ornig intoniert auch die schnellsten Passagen, der Bass von Hrvoje Kralj kommt gut zur Geltung und Emiliano Sampaio, brasilianischer Export und Chamäleon der lokalen Jazz-Szene, überzeugt an der Gitarre, dass er nicht nur Posaune spielen kann wie beim Graz Composers Orchestra, jener Big Band, von der sich Miklin auch Ornig geborgt hat.

Miklin und Kralj mit tube’s Gastgeber und Mentor Sigi Feigl

Die Rockmusik wird den zweifachen Familienvater und Mountain Biker nicht auf Dauer verlieren, aber jetzt ist er mit seiner neuen Band Jazzer mit Haut und Haar. Und das ist ein Gewinn für die heimische Szene. Live wieder auf der Bühne beim Village Jazz Festival III.

Web – following-footsteps.at

The Base – Lick A Stone Kill A Fly

Konkord
Wien 2022

Diesen Beitrag poste ich der Vollständigkeit halber, da ich bis dato jedes Album der Grazer Indie Band besprochen habe. Erschienen im Jänner 2022 ist es schon wieder „alt“ und somit längst keine Neuerscheinung mehr. Ich las einige Besprechungen und habe von Norbert Wally also ein Rezensionsexemplar bestellt. Im Zuge dieser Kommunikation wurde unsere zehnjährige Freundschaft einer Belastungsprobe unterzogen. Der Ton passte nicht und wenn zwei Dickschädel aneinander geraten, ist einmal für ein Jahr Sendepause.

Als wir uns bei einem Auftritt im „Parkhouse“ begegneten, haben wir das Kriegsbeil begraben und bei einer weiteren zufälligen Begegnung in der „Lotte“ versprach Wally, mir ein Exemplar zu hinterlegen. Auch das dauerte einige Monate, bis ich die CD abholten konnte. Nun ist sie in meinem Laufwerk und ich ärgere mich darüber, dass sie nicht in der Graceland-Datenbank ist und ich alle Trackinfos händisch eingeben muss. So viel als Vorgeschichte zum gegenständlichen Tonträger und den Umständen seiner Veröffentlichung.

„It’s Not That Everything’s Fucked Up“ als letzter Titel des Albums beschreibt gut unser Verhältnis zueinander. Aber stellen wir einmal Persönliches zur Seite. „Lick A Stone Kill A Fly“ ist keine Überraschung. Es ist ein Showcase für Wallys stimmliche Bandbreite, die er in jedem Song zelebriert. Das ist für Neueinsteiger ins Œuvre von The Base reizvoll , aber für langjährige Groupies der Band das immer gleiche. Ein paar Hadern, ein paar Balladen, ein bissl Blues und eh man sich versieht ist die CD aus und am Ende weiß man gar nicht, was man da gehört hat. Es ist an der Zeit, sich neu zu erfinden, bevor es langweilig wird.

Attwenger – Drum

Tricont
München 2021

Ich sags mal ganz frech: Attwenger sind die Oberösterreich-Version der britischen Sleaford Mods, sogar ihre Alben sehen einander in Gelb und Rot farblich ähnlich, wobei das englische Duo seine „Spare Ribs“ in modernem Digipak feil bietet, „Drum“, Attwengers neuntes Album seit „Most“ (1991) immer noch in altmodischem Plastikschachtel-Umweltmüll verkauft wird. Audio CDs sind eh am Aussterben, heißt es dazu, der Renner aus dem Merchandise-Koffer war eindeutig die LP in rotem Vinyl.

Gut, es soll ja nicht nur die Verpackung, sondern auch der Inhalt besprochen werden, obwohl es dem Markus Binder, Text und Gesang, gar nicht geheuer war, dass ich in aller Bescheidenheit am Ende der Schlange eine CD zur Besprechung eingefordert habe.

Endlich, im dritten Anlauf zum Inhalt, von dem ich im Konzert so ziemlich gar nichts verstanden habe, aber gut, den kann der geneigte Käufer eines Tonträgers ja nachlesen, weil OÖ-Slang und Zungenbrecher es einem gelernten Steirer halt nicht leicht machen.

1 / 6

Witzig sind die beiden allemal, und wer nix versteht kann gut dazu abtanzen, denn die Musik fetzt ordentlich mit live gespieltem Schlagzeug vom Markus Binder und elektrifizierter Knöpferl-Harmonika von Hans-Peter Falkner. Alles, was auf dem Album sonst noch mit Studiomusikern aufgenommen war, wird aus der Konserve zugespielt.

Fotos und Film © 2023 Gerald Ganglbauer

Ist ja nix Neues, das Duo ist doch schon ein paar Jährchen unterwegs und hat eine breite Fan-Gemeinde, wie es sich in der knallvollen Grazer Postgarage, auch nicht zum ersten Mal, deutlich zeigte. Wie die Engländer. Aber jetzt ist genug mit Vergleichen.

Wer nicht in den Besitz der Lyrics gekommen ist, dem sei zum besseren Verständnis abschließend auszugsweise Track 15 [2:30] zitiert:

i dram vo an drum
auf dem hau i umadum
und i drommid do herum
irgendan tschakkabum

drum is a dram
a traumhoftes drum
und i dram vo dem drum
und i drommit umadum

[zehn weitere Strophen]

i drommit und i drommit
und i drommid und i dram
und i dram vo dem drummin
vo dem drummin auf dem drum

Markus Binder

Heumond aus Mitteleuropa – Wiedergänger

Moloko Plus Records
Schönebeck 2022

Cover artwork von Sarah Earheart

Keine Rentnerband, ja nicht einmal Frührentner, obwohl sich die steirische Indie Band „Heumond aus Mitteleuropa“ bereits 1997 rund um den damals 17-jährigen Schlagzeuger Thomas Antonic aus Bruck an der Mur formiert hatte und und sich 2008 nach ihrer ersten CD Aus dem Sumpf kommt ein Monster mit einer Fischhaut… …und das ist Liebe, Pumpkin Records, auflöste. Jahre später, im Sommer 2022, trafen sich die Musiker in Wien, um die Band für ein einmaliges Projekt wieder zu vereinen, nämlich ihren unveröffentlichten Songs aus 1999/2000 ein neues Leben zu geben.

Die acht Titel des Albums, Der nächtliche Gast, Die Zerstörung des Ich, Was geschieht mir, Letzte Lockung, Königin, Ophelia, Der Wind hat mir ein Lied erzählt, Komm näher von Martin Urban und Thomas Antonic lesen/hören sich wie vertonte Gedichte an und waren es ursprünglich wohl auch. Es sind allesamt Eigenkompositionen der Band, bis auf “Der Wind hat mir ein Lied erzählt”, einem Text von Bruno Balz und Musik von Lothar Brühne.

Ich kann nicht beurteilen, wie sich die Kompositionen seinerzeit live angehört haben, sie waren damals sicher auf der Höhe der Zeit, Indie Rock eben mit mehr oder weniger sprechender Stimme des Leadsingers, der mit klaren Worten auf die Verständlichkeit desTextes Wert legt, oft noch in Loops wiederholt wird um seine Wirkung zu erzielen. Nebenwirkungen gibts in einer aus zehn Personen auch, ein rhythmisches Zucken der (Tanz-)Beine.

„Wach lieg ich träumend in meinem Bette …“ (in: Der nächtliche Gast), „sexuelle Offenbarung immer weiter, immer weiter, treibt mich voran“ (in: Die Zerstörung des Ich), „wir amüsieren uns zu tode… …ich bin enttäuscht“ (in: Was geschieht mir), seien zur thematischen Orientierung zitiert.

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Fotos von der Album Release Show im Wakuum, Graz.

Heumond aus Mitteleuropa sind Thomas Antonic: drums, piano, synth, reed organ, samples, background vocals, Martin Urban: lead vocals, Markus Kertz: guitars und Roland Urban: bass.

Martin Listabarth – Dedicated

Listabarth Records
Wien 2021

Cover von „Dedicated“

„Short Stories“ ist der Titel am Cover des Debütalbums von Martin Listabarth, „Dedicated“ auf seinem zweiten, und beides stimmt. Als ich die zehn Stücke des Wiener Pianisten und Komponisten live im Grazer tube’s erlebte, dachte ich sogleich an Kurzgeschichten, die er mit jeder Taste des Konzertflügels virtuos erzählt. „Dedicated“ ist noch präziser, denn jedes der Stücke ist einer Person gewidmet, die in seinem Leben eine Bedeutung hatte und Inspiration für die jeweilige Komposition war. Eine interessante Liste, von zeitgenössischen Erzählern wie Michael Köhlmeier zu Alan Turing, dem Mathematiker, der den Code der Nazis entschlüsselte, vom Fußballstar Diego Maradona bis zur früh verstorbenen Oma, die er nur von Bildern kannte.

Cover von „Short Stories“

Wie nahe sich Sprache und Musik kommen können, beweist er im letzten Stück, „Dreams of Dreams“, das Antonio Tabucchi gewidmet ist, einem seiner Lieblingsautoren.

Ich hatte mir ein „Köln Concert“ vorgestellt, doch anders als Keith Jarrett unterbrach Martin Listabarth seinen Klaviervortrag zwischen den Stücken und erzählte, wie die Kompositionen entstanden. Das machte ihn sehr sympathisch und baute gleichzeitig eine Brücke ins Publikum. Außerdem blitzte eine weitere Bedeutung des Wortes „Dedication“ durch, denn wie sonst hätte er eine solche Fingerfertigkeit mit den schwarz-weissen Tasten erlangt als durch strenge Hingabe an die Musik. Ach ja, Fußball spielt er auch noch.

Jazz-Pianist Martin Listabarth mit seinem Solo Programm im tube’s und auf martinlistabarth.at

Genesis – Invisible Touch

Aus dem Archiv: Live in Concert
Wiener Praterstadion, 16. Juni 1987

Schöpfung eines Gesamtkunstwerkes

Seit gut fünfzehn Jahren bin ich vertraut mit den Klanggeweben der britischen ,Tonzauberer, vor zehn Jahren, als sie das legendäre Album … and then there were three … produziert hattten, war ich ein glühender Fan der Herren Banks, Collins und Rutherford, und es waren ihre Textzeilen wie Go West, Young Man … die ich im Kopf hatte, als es mich in die USA zog. Danach hat sich mein Musikgeschmack von der Ö3-Schiene weg entwickelt und ich habe nur mehr am Rande mitverfolgt, wie viele „meiner“ Musiker von der Szene verschwunden sind, von Genesis aber immer wieder Alben auftauchten, die mich zwar aufhören ließen, aber da meist nur die kommerziellen Tracks über Radio liefen, nicht mehr sonderlich vom Hocker rissen.

So war ich also nicht unter den ersten, die sich um Karten zum Open Air im Wiener Praterstadion bemühten, das von den alten Herren zum neuesten Album als The Invisible Touch Tour 1987 über die Bühne gehen sollte. Aber ich habs bei Gott [Genesis: griech. Werden, Entstehen, Ursprung, Schöpfung] nicht bereut, die gar nicht so unsichtbare Berührung der anderen musikalischen und optischen Art über mich ergehen zu lassen. Ein Live Act, der im Spitzenfeld des Erlebbaren angesiedelt werden kann!

Das Fußballfeld ist zwar verlassen und geräumt, die Titel aber sind im Kopf geblieben und in der Erinnerung nicht zu unterscheiden von den in Plattenrillen gepreßten Versionen, so perfekt kamen sie über den Rasen. Das sollte bei dem Großaufgebot an Soundtechnik auch nicht verwundern, doch verdanken wir es nur teilweise den Profis Backstage, die Leistung auf der Bühne hat jedenfalls gestimmt. Phil Collins hatte nicht nur die Drumsticks und das Mikrofon abwechselnd in der Hand, sondern die ganze Zeit auch uns – das Publikum. 

So bestechend der Klangteppich war, den er gemeinsam mit Tony Banks an den Keyboards und Mike Rutherford an den Gitarren aufs Prächtigste vor uns ausrollte, so bezwingend war auch der Charme, mit dem Collins zweisprachig [und das will für einen Briten was heißen …] durch das Programm führte. Der Kontakt, die Berührung war da, unterstützt von einer großartigen Lightshow, die, perfekt programmiert, die [jeweilige] Message optisch umzusetzen verstand: gebündelter gleißender Lichttropfenregen, in Lichtbalkennetzwerke verstrickte schemenhafte Musiker, schwenkbare und höhenvariable Lichtebenen, die jeder Situation angepasst wurden – und natürlich in den richtigen Momenten die obligatorischen Nebelschwaden, die die Fäden aus Lichtbündeln erst plastisch erscheinen ließen [Anmerkung: verglichen mit einer Rammstein Show 2020 steckten visuelle Effekte in den 80ern noch in den Kinderschuhen].

Ein Erlebnis also für die Sinne, ein Gesamtkunstwerk, das etwas in uns hinterläßt, so einen Geschmack nach unbändiger Freiheit, für das wir Collins und seinen Mitstreitern sein höfliches vielen danke, ir seiz leiwand fast schon in echtem Wienerisch mit einem aufrichtigen thanks Genesis, you were great erwidern sollten.

Horst Gerald Ganglbauer

C.W. Stoneking & His Primitive Horn Orchestra – Jungle Blues

King Hokum Records
Melbourne 2008

Eine Platte zu besprechen, die älter als das Baujahr meines MINI Countryman ist, gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten, aber diesem Mann gebührt eine Ausnahme. Eine Einladung in den Paddo RSL Club erinnerte mich an den Australier, der sich freut, nach der Pandemie endlich wieder auf Tournee gehen zu können. Ich bedauere zwar, dass ich den Gig in Paddington nicht sehen kann, aber dafür habe ich einen ganzen Vormittag lang YouTube Musik Videos angeschaut, wie dieses vom Titelsong der LP.

Für mich ist dieser Export from Down Under gewichtiger als die Bee Gees. Eine Mischung aus Max Raabe und Tom Waits hat auch dieser geschniegelte weiß gekleidete junge Herr eine unverkennbare Stimme anzubieten. Wenn man, wie er, im Northern Territory mit seinem Vater in einem Aboriginal Stamm aufgewachsen ist, wird man entweder Stockman (so nenen Aussies die Cowboys) oder Rockstar. Letztere Laufbahn hat C.W. Stoneking erfolgreich eingeschlagen.

C.W. Stoneking on the mountain view stage, photo by David Owen 2009

Ich kenne übrigens seinen Vater, Billy Marshall Stoneking, ein Schriftsteller und Lehrer, von dem ich einige Poems veröffentlicht habe. Billy war mit seiner Frau aus den USA eingewandert und lebte einige Zeit in Katherine, NT, wo 1974 Christopher William zur Welt kam. 1997 ging C.W. nach Melbourne, wo 2014 das bislang letzte Album, Gon’ Boogaloo, mit seinem Primitive Horn Orchestra erschien.

Jetzt ist er wieder mit der alten Band auf Tournee. Schade, dass ich ihn nicht treffen kann.

Opus – Magnum

Opus Music Publishing
Gratwein-Straßengel 2020

Rund 40 Jahre nach „Eleven“ erscheint wieder ein substantielles Album des steirischen Erfolgsunternehmens.

„Mit unserem 16. Werk, einem einerseits kreativen Future-Ausblick und einem andererseits mit vielen emotionalen Erinnerungen verbundenen History-Rückblick wollen wir uns nach 40 Jahren von der Rock & Pop-Album-Szene verabschieden,“ schreiben die vier Mannen im aktuellen Doppelalbum, wobei ich mich frage, wo die anderen Platten geblieben sind, die mit ihrem Debütalbum „Daydreams“ (1980) und der bis heute unübertroffenen LP „Eleven“ (1982) den typischen Opus-Sound festgelegt haben. In der Hauptsache war es der hohen Stimmlage des 1979 per Inserat gefundenen Lead Singers Herwig Rüdisser zu verdanken.

On the Road to Austria Rock

1973 gründete der Ex-Sängerknabe Walter Bachkönig eine Garageband mit Ewald Pfleger und Kurt René Plisnier und die spielten landauf landab das Burgenland und die Steiermark. 1977 war ich im Schlosspark von Kohfidisch beim ersten großen dreitägigen und völlig verregneten Open Air Festival, dort sind Opus noch in der Urbesetzung aufgetreten. Zum von Opus 1978 selbst organisierten Austria Rock Festival in Pinkafeld nahm ich schon ein paar Freunde im Renault 12 mit. Wir teilten uns den Sprit aber fuhren den Tank dennoch leer und schliefen im Acker bis die Tankstelle aufsperrte. Nach der Matura studierte ich Verfahrenstechnik an der TU um die Welt zu retten. Beim Besuch aller erreichbaren Jazz, Rock, Blues und Folk Festivals lernte ich unter anderen Bands auch Opus aus nächster Nähe kennen. Die unkonventionelle Lebensart der Musiker fand ich sehr attraktiv, weshalb ich von der Technik an die Uni wechselte um Kulturjournalist zu werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mit 18 der Rockmusik auf der Spur

1984 gelang Opus dann mit „Live is Life“ eher zufällig ein Welthit, den die Spatzen auch heute noch überall von den Dächern pfeifen und der Jahr für Jahr ein schönes Sümmchen an Tantiemen beschert. Geld hat offenbar träge gemacht. Nach einer mit Outzeiten durchlöcherten Periode und Alben, an die sich nicht mehr viele erinnern, weil jeder bei der Erwähnung der Band automatisch „Na – na, na – na – na, all together now“ im Ohr hat, ist ihnen mit „Magnum“ wieder ein sehr solides Album gelungen. Vielleicht hat die Pandemie gedrängt, an die Altersvorsorge zu denken.

Tonight At the Opera Stimme und Moderation Herwig Rüdissser
Mastermind Ewald Pfleger und Tastenguru Kurt René Plisnier

Aber zurück zu „Magnum“. Während sich in 40 Jahren meines Lebens die Welt nicht nur geografisch mehrmals verändert hat, hören sich die neuen (FUTURE) Opus fast so an wie die alten (HISTORY) Opus. Ich hatte die Band für gut 20 Jahre aus dem Radar verloren. Auch der Großteil der Fans beim letzten Konzert in der Grazer Oper war etwa im Alter rund um die Pensionierung, wie Herwig Rüdisser in seiner launigen Moderation feststellte. Gibt es keine Evolution im Austropop? Stirbt die Generation mit dem Retrosound in einer sich verdünnenden „Opusphere“ (Titel Track 1) langsam aus?

Paul Pfleger beim Goodbye Concert 2021

Das wird wohl erst die nächste Generation beantworten können. Ewald Pflegers Nachwuchs ist ein gutes Beispiel. Hören wir also zu, wie Paul in die Zukunft rockt.

Kahlenberg – Wiener Zucker

Affluenza
Wien 2021

Das zweite Album der „Schnöselpunker“ erschien zwar schon am 1. 10. und hatte seine Release Show am 14. 10. im Chelsea in Wien, mit einer Besprechung wollte ich dennoch auf ihren Auftritt im Orpheum am 21. 10. warten (bei dem Heast! / Platoo Konzert war Kahlenberg als Begleitband von Der Nino aus Wien in Graz)

Nix. Es gab leider eine Terminüberschneidung, und die Jahrestagung der Österreichischen Parkinson Gesellschaft hatte Vorrang. Während ich also meinen „Parkinson Blues“ unter die Neurologen mischte, wärmten Kahlenberg die Grazer für den Nino auf und taten das wohl auf sehr ähnliche Art und Weise wie der Erfinder des Raunzens himself.

Die neue LP, in schlichtem durchsichtigen Vinyl gehalten, eröffnet mit der (frauenfeindlichen?) Zeile „Ja guten Tag die Herren, kommen sie weiter“ und erklärt uns in weiterer Folge, dass „Hab und Gut und Bösendorfer“ in der Allee stehen. Alles wegen der Helene. Doch wir können dazu nur tanzen und empfinden keinerlei Mitleid mit dem Protagonisten. Ich bin etwas befangen, da ich als ehemaliger Wiener das „Raunzen“ sehr gut verstehe, so wie es jedem echten Wiener mit der Mutttermilch verabreicht wird. Beim Betrachten des Covers muss ich spontan an „Striezel, Spritzstrauben, Strudel“ denken, ein Minidrama von Margret Kreidl.

Drama

MARGRET Sandscheiben, Schaumringe. Striezl, Spritzstrauben, Strudel. Schaumomelett, Schneenockerl, Schokoladensoufflé.
Margret seufzt MARGRET Kaffeeparfait, Erdbeergelee, Roter Ribiselschnee. Schokoladenroulade, Marillenpüree.
Margret stöhnt MARGRET Mohnbuchtel, Nußstrudel. Schokoladekuppel, Dukatennudel. Nußkipferl, Kipferlkoch, Nußkugeln, Nougatzungen. Mohnzopf. Topfenpalatschinken. Salzburger Nockerl. Mokkakipferl, Kipferlschmarren. Maschanskerknödel. Powidltascherl, Bärenpratzerl, Batzerlgugelhupf. Apfelkrapferl, Topfenkrapferl, Klosterkipferl, Polsterzipf. Mohnpotize. Topfentascherl. Germkolatschen. Mandelschnecken, Zwetschkenfleck. Schmankerlcreme. Grießschnee. Brandstriezel, Rahmschnitten. Reisauflauf, Scheiterhaufen. Zuckerstrauben. Windbeutel, Spitzbuben. Schokobusserl. Flockenschnitten, Topfenpudding. Obstschüsserl, Bröselnudeln.
Margret weint MARGRET Kokosbusserl. Schokokrapferl, Topfennockerl. Mohnrollen, Hollerröster. Germknödel, Hasenöhrl. Dampfnudeln. Nußschnecken, Zwetschkenpofesen. Marillenstangerl, Stanitzel, Gibanzen. Grammelkuchen, Dalken, Wuchteln, Wäschermadln.
Margret schreit
MARGRET Mohntorte, Mokka-Oberstorte, Dobostorte, Topfen-Oberstorte, Schoko-Oberstorte.
Margret lacht MARGRET Sachertorte.

Was für Nicht-Wiener schon im Wortschatz exotisch / metaphorisch / affengeil / süß klingt, verliert mit „Wiener Zucker“ (der in der Metropole sogar ins Dressing für Blattsalat kommt) nach einigem Hören viel von seinem Reiz. Das unterstellte Rezept geht nicht auf, mit zehn relativ kurzen Nummern zehn Ohrwürmer zu schaffen. Dabei gebe ich zu, dass die Platte Spaß macht, auch weil man sie öfter als erwartet umdrehen muss. Die Lyrics sind ja doch affengeil, und zwischen den Albumdeckeln liegt ein Zehnerpack voll von Ironie. Die Musik bewegt nicht nur das Tanzbein, sondern jeden Muskel im Körper, was uns von Neurologen auch dringend angeraten wird, wie ich auf der Tagung erfahren konnte.

KAHLENBERG © Christoph Meissner

Ernst Molden, der Nino aus Wien und Marco Wanda sind bereits Fans der Kahlenberger rund um Sänger Frank Hoffmann. Die „Schnösel“ Raphael Sas (Gitarre), Dominik Mayr (Bass), Dominik Bayer (Keyboard) und Wolfgang Kanduth (Schlagzeug) kommen allesamt aus dem Wiener Nobelbezirk Döbling, da wo’s der Papa schon richten wird. Oder?

Scheint nur, dass sich die „Berufssöhne“ fürs dritte Album nicht einig werden konnten, ob es stilistisch Richtung Schrammeln oder Kaffeehauspunk gehen soll. Schon aus dem Grund hätte ich sie sehen wollen … aber mein bescheidener Wunsch wurde bekanntlich von der Neurologentagung durchkreuzt. Diesmal.

www.kahlenbergmusik.com

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