Alte Kinder – Unter Freierem Himmel

Voller Sound
Wien 2024

Ah, welche Freude! Endlich wieder eine Entdeckung, wo das Reinhören Spass macht, wo die Texte den Intellekt fordern und eine raunzige Stimme an den Tönen vorbei schmiert (wie es in der Wiener Szene Mode ist) und das politische System herausgefordert wird. Es gibt sogar eine „Gebrauchsanleitung“ für das zweite Album der New Hamburg Band, das, aufgenommen im Wiener Studio 77, sehr präzise die Gegenwart seziert.

Alte Kinder Bandfoto

Das Trio um Tud Rudolf (Sänger/Komponist/Texter) pendelt zwischen Hamburg und Bayern und debütierte vor zwei Jahren mit dem Indie Pop Album „Gleich“, das mit leichterer Kost aufwartete, wie im folgenden Track „Kisten“.

Wie es scheint, sind die alten Kinder mittlerweile herangewachsen und haben erkannt, dass alles schon mal da war. Daher sind die Stücke musikalisch keine Innovation, sondern unauffälliges Gerüst zum Transport von Wortladungen, die es in sich haben. Und das in optimierter Form (hoffend dass der Streaming Dienst noch läuft). Wozu brauchst du … tatü tata, die Kommissarin ist da.

Das Album ist zeitnah und wahrscheinlich am besten in der Live Musik Szene zu hören. Oder beim Poetry Slam. Hey, hey, hey.

Lil Franz – Chillen im Elend

monkey.
Wien 2024

Lil Franz mixt Elemente von Pop, Downbeat und Trap sowie Literatur und skurrile Musikvideos zu einem eigentümlichen Gesamtk­unstwerk.

Sagt das Label. Gehet hin, höret und staunet, sage ich.

Album Release Konzert
Sa. 13.04.24 PPC, Graz
Styrian Sounds-Festival

Album Release 
„Chillen im Elend“ erscheint beim Wiener Label monkey. am 12. April 2024.
Mit acht neuen tippitoppi Nummern! verspricht Lil Franz.

Hinter Lil Franz verbirgt sich der Grazer Schriftsteller Max Höfler, der zusammen mit dem Captain Cosmetic (Ronald Wenzel) sein erstes Album namens „Chillen im Elend“ vorlegt.

Gerald Ganglbauer

Adam Harpaz – Electric Lady Powers

Greywood Records
Berlin 2024

„The focus track „Electric Lady Powers“ is a fun tongue in cheek song about feeling a random romantic spark with a total stranger from across the room and attempting to connect with them in an awkward moment of zealous. Relatable?

Set in the scene of a quaint cafe, the protagonist is obviously hoping that the person they’re drawn to feels the same way, however is plagued throughout the 2.5 minute ordeal by emotions we all experience; self doubt, nervousness, eagerness etc. Despite the obstacles faced, in the second verse our protagonist builds the courage to ask the waiter for a pen so they can write down their number on a napkin. In the third and final verse, a terribly awkward plan is hatched to stumble upon leaving the cafe in order to give their number to this total stranger. The ultimate icebreaker? Did it work? The listener can decide based on imagination and intuition.“ – Adam Harpaz

Mit Adam Harpaz haben Greywood Records einen guten Griff gemacht. Der Indie Singer/Songwriter aus New South Wales hat alles, was es braucht, um anzukommen: einen verträumten Blick, gutes Aussehen, romantische Lyrics und eine sanfte Stimme. Ein sympathischer Aussie Bloke, der in Australien und in Europa eifrig auf Tour geht. Er spielt auf großen Festivals und intimen Venues, sogar Österreich war letzten August auf der Liste mit Kaisers Smoked BBQ am Kaiser-Josef-Platz in Graz. Leider wußte ich nichts von dieser Show.

„Rolllercoaster is a reminder that most things are never quite as they seem.“ – AH

Mit seinem selbst produzierten Mellow Folk kommt der Storyteller aber bestimmt wieder einmal zu uns und dann werde ich hingehen und mich über ein paar Geschichten aus Down Under freuen.

Website (nicht ganz aktuell) – adamharpaz.com

Karlheinz Miklin – Following Footsteps

session work rec.com
Wien 2023

Karlheinz Miklin jr. – drums
Gerhard Ornig – trumpet
Emiliano Sampaio -guitar
Hrvoje Kralj – bass

Karlheinz Miklin jun. oder schlicht Karl, um nicht mit Papa Karlheinz Miklin sen. verwechselt zu werden, trommelt seit 30 Jahren. Wir kennen einander seit gut zehn Jahren aus der Indie Rock-Szene, waren gelegentlich zusammen im Tonstudio und haben im Probekeller gespielt. Der alte Haudegen ist also definitiv kein Spring Chicken mehr, dennoch hat er nach der Pandemie „following footsteps“ als sein Debütalbum released, erstmalig als Bandleader und federführender Schlagzeuger in einem Genre, das als Hausmusik bei den Miklins gehört und gespielt wurde – Jazz.

Es überrascht eigentlich nicht, dass er sich dreier begnadeter Solisten bedient, um seine eigenen Kompositionen zu spielen. Er hat schließlich auch schon zu Lebzeiten seines Dads im Trio mit Ewald Oberleitner am Bass die Felle geschlagen und mit dem Jazzbeserl gebürstet. Dabei sind ihm wohl so manche Stücke eingefallen, die er mit seinem neuen handverlesenen Quartett perfekt intoniert. Und obwohl er in die Fussstapfen seines Vaters tritt, ist vom Senior nur ein Track auf dem Album, „Tripleing“, und einer von The Base, das fast nicht wiederzuerkennende „Just Another Sky“. Alles andere sind seine Kompositionen. Der Weg zur Jazzmusik zeichnete sich ab. Vor ein paar Jahren gab es bereits ein Album mit Sigi Feigls Big Band Jazz Orchester Steiermark.

Sein Schlagwerk gibt verspielt aber präzise den Rhythmus vor, der immer wieder auch mal gewechselt werden darf, es bleibt dabei ausreichend Raum für die Solisten. Die Trompete des frisch verlobten Südsteirers Gerhard Ornig intoniert auch die schnellsten Passagen, der Bass von Hrvoje Kralj kommt gut zur Geltung und Emiliano Sampaio, brasilianischer Export und Chamäleon der lokalen Jazz-Szene, überzeugt an der Gitarre, dass er nicht nur Posaune spielen kann wie beim Graz Composers Orchestra, jener Big Band, von der sich Miklin auch Ornig geborgt hat.

Miklin und Kralj mit tube’s Gastgeber und Mentor Sigi Feigl

Die Rockmusik wird den zweifachen Familienvater und Mountain Biker nicht auf Dauer verlieren, aber jetzt ist er mit seiner neuen Band Jazzer mit Haut und Haar. Und das ist ein Gewinn für die heimische Szene. Live wieder auf der Bühne beim Village Jazz Festival III.

Web – following-footsteps.at

Eran Har Even – Shorter Days

World Citizen Music Records
Amsterdam 2024

Artwork Hagar Cohen

Shorter Days ist ein Tribut-Album für Wayne Shorter, den legendären im vorigen Jahr verstorbenen Saxofonisten und Komponisten. Wenn ich dieses Album besprechen soll, muss ich mich in Wayne’s World hineinhören und denken. Nicht in die akademische Welt unzähliger Musiktheoretiker, die ihre Papers übers Internet verstreuen, sondern eintauchen in die emotionsgeladenen Auftritte, die dankenswerterweise auf YouTube zu finden sind.

In einem 2010 im französischen Jazz à Vienne aufgenommenen Konzert reisst die Emotion Shorters Kompositionen Musiker wie auch Publikum gleichermassen mit. Ein restlos ausverkauftes Stadium in Frankreich mit Danilo Perez (Klavier), John Patitucci (Bass) und Brian Blade (Schlagzeug) demonstriert die enorme Kraft des Jazz eines schwarzen Saxofonisten aus den USA, doch wie hat sich diese Begeisterung auf einen jüdischen Jazz-Gitarristen übertragen, einen World Citizen, der in Israel geboren, in Holland lebt und im Trio mit Wouter Kühne (Schlagzeug) und Omer Govreen (Bass) spielt?

„In den letzten drei Jahren habe ich mich intensiv mit Wayne Shorter beschäftigt“, sagt der bescheidene Musiker und sammelt weitere Sympathiepunkte, „Shorter war ein grenzenloser See voller Inspiration und ich habe in seiner Lebensweise dabei auch ein tieferes Verständnis von mir selbst gefunden.“

Aus Shorters Kompositionen entstanden acht neue Arrangements, von denen Eran überzeugt war, dass sie Wayne gefallen hätten. Am Village Jazz Festival in Stattegg konnten die Besucher bereits ein Medley aus Shorter Days hören. Das Album gibt es von allen guten Outlets digital, streaming oder als CD.

Web: eranhareven.com

Austropop – Neuerscheinungen

New releases heimischer Provenienz überfluten Herrn und Frau Österreicher. Warum tut man nichts dagegen?

Gefühle, Glück und Liebe mit einer guten Portion Schmalz sind die erprobten Zutaten des Schlagers. Des deutschsprachigen Hits, sozusagen, bzw. der Schnulze, die mit etwas Alkohol so schön mitgegröhlt werden kann. Antonia ist ein gutes Beispiel. Sie nennt ihren Schwachsinn „Volksmusik“: Ich bin die Sexbomb von Austria und überall bekannt. Leider. Kriterium für den Zusatz „Austro-“ zu Rock oder Pop ist dann nur noch ein österreichischer (anfangs wiener) Dialekt.

In den 70er Jahren war Austropop noch kein Schimpfwort. LPs von Wolfgang Ambros und STS drehten sich auf allen Plattenspielern der Nation und das war gut so. Lieder zu machen, deren kluge Worte man verstand war das Motto, einfache Gitarrenbegleitung inklusive. Über die Grenze nach Deutschland machten es Klaus Lage, Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer, Konstantin Wecker und wie sie alle hießen vor, wie man anspruchsvolle Inhalte in lebendige Musik verpackt.

Was ist heute anders? Ein Großteil der Musik wird nicht mehr gespielt, sondern am PC komponiert bzw. programmiert. Ein Großteil der Texte wird für den kleinsten gemeinsamen Nenner geschrieben. Und da Boom-Boom und Hump-ta-ta so einfach zu produzieren sind, gibt es einen Wildwuchs an Tonstudios und hoffnungsvollen Stimmakrobaten, die mich mit ihrem Schrott belästigen. De gustibus non disputandum est sagt der Lateiner völlig richtig, nur geht es hier nicht um Geschmack, sondern um gezielte Volksverblödung, die immer deutlicher wird, weil man vor den realen Geschehnissen unserer grausamen Welt in die warme Nische einer Schnulze flüchtet.

Gott sei Dank finden sich immer noch junge Liedermacher auf der anderen Seite von Ö3 und den Regionalsendern, – Bertram, Endless Wellness und Buntspecht seien auf FM4 als Empfehlungen hervorgehoben, – denn sonst müsste man glatt verzweifeln. Halt, das stimmt nur teilweise, denn zwischen Himmel und Erde leuchten noch unzählige andere Genres, die darauf warten, mit allen Sinnen erforscht zu werden. Hört euch um, bevor Artificial Intelligence alle Musik 2084 zu einem Einheitsbrei werden läßt.

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