Genesis – Invisible Touch

Aus dem Archiv: Live in Concert
Wiener Praterstadion, 16. Juni 1987

Schöpfung eines Gesamtkunstwerkes

Seit gut fünfzehn Jahren bin ich vertraut mit den Klanggeweben der britischen ,Tonzauberer, vor zehn Jahren, als sie das legendäre Album … and then there were three … produziert hattten, war ich ein glühender Fan der Herren Banks, Collins und Rutherford, und es waren ihre Textzeilen wie Go West, Young Man … die ich im Kopf hatte, als es mich in die USA zog. Danach hat sich mein Musikgeschmack von der Ö3-Schiene weg entwickelt und ich habe nur mehr am Rande mitverfolgt, wie viele „meiner“ Musiker von der Szene verschwunden sind, von Genesis aber immer wieder Alben auftauchten, die mich zwar aufhören ließen, aber da meist nur die kommerziellen Tracks über Radio liefen, nicht mehr sonderlich vom Hocker rissen.

So war ich also nicht unter den ersten, die sich um Karten zum Open Air im Wiener Praterstadion bemühten, das von den alten Herren zum neuesten Album als The Invisible Touch Tour 1987 über die Bühne gehen sollte. Aber ich habs bei Gott [Genesis: griech. Werden, Entstehen, Ursprung, Schöpfung] nicht bereut, die gar nicht so unsichtbare Berührung der anderen musikalischen und optischen Art über mich ergehen zu lassen. Ein Live Act, der im Spitzenfeld des Erlebbaren angesiedelt werden kann!

Das Fußballfeld ist zwar verlassen und geräumt, die Titel aber sind im Kopf geblieben und in der Erinnerung nicht zu unterscheiden von den in Plattenrillen gepreßten Versionen, so perfekt kamen sie über den Rasen. Das sollte bei dem Großaufgebot an Soundtechnik auch nicht verwundern, doch verdanken wir es nur teilweise den Profis Backstage, die Leistung auf der Bühne hat jedenfalls gestimmt. Phil Collins hatte nicht nur die Drumsticks und das Mikrofon abwechselnd in der Hand, sondern die ganze Zeit auch uns – das Publikum. 

So bestechend der Klangteppich war, den er gemeinsam mit Tony Banks an den Keyboards und Mike Rutherford an den Gitarren aufs Prächtigste vor uns ausrollte, so bezwingend war auch der Charme, mit dem Collins zweisprachig [und das will für einen Briten was heißen …] durch das Programm führte. Der Kontakt, die Berührung war da, unterstützt von einer großartigen Lightshow, die, perfekt programmiert, die [jeweilige] Message optisch umzusetzen verstand: gebündelter gleißender Lichttropfenregen, in Lichtbalkennetzwerke verstrickte schemenhafte Musiker, schwenkbare und höhenvariable Lichtebenen, die jeder Situation angepasst wurden – und natürlich in den richtigen Momenten die obligatorischen Nebelschwaden, die die Fäden aus Lichtbündeln erst plastisch erscheinen ließen [Anmerkung: verglichen mit einer Rammstein Show 2020 steckten visuelle Effekte in den 80ern noch in den Kinderschuhen].

Ein Erlebnis also für die Sinne, ein Gesamtkunstwerk, das etwas in uns hinterläßt, so einen Geschmack nach unbändiger Freiheit, für das wir Collins und seinen Mitstreitern sein höfliches vielen danke, ir seiz leiwand fast schon in echtem Wienerisch mit einem aufrichtigen thanks Genesis, you were great erwidern sollten.

Horst Gerald Ganglbauer

Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna – Homecoming [2CD]

Universal Music Group
VÖ: 19. September 2022

Als ich Anfang August „Homecoming“ in der Grazer Oper live hörte, war auf Besprechungen dieses Doppelalbums ein Embargo bis weit in den Herbst. Also nahm ich mir die 2 CD-dicke Box mit nach Hause und stellte sie vorerst ins Regal zu den anderen Warteliste-CDs. Der Name Christian Muthspiel war mir nicht unbekannt – er gehört schließlich meiner Generation an – aber ich konnte keinen Tune mit ihm in Verbindung bringen. Es kann zwar nicht jeder Joe Zawinul sein, dessen „Weather Report“ rund um die Welt ging, aber Ich glaube, dass ich ihn sogar in den 80ern in Graz gehört habe. Eine Zusammenarbeit mit Ernst Jandl fiel mir noch ein, aber das war keine Big Band wie das Orjazztra Vienna.

Das Orjazztra Vienna © Gangway Music Reviews
Christian Muthspiel © ORF Joseph Schimmer

Das ORJAZZTRA VIENNA sind Lisa Hofmanninger, Astrid Wiesinger, Ilse Riedler, Fabian Rucker, Robert Unterköfler, Florian Bauer (reeds), Gerhard Ornig, Dominik Fuss, Lorenz Raab, Alois Eberl, Daniel Holzleitner, Christina Baumfried (brass), Philipp Nykrin (p), Beate Wiesinger (e-b), Judith Ferstl (acc-b), Judith Schwarz, Marton Juhasz (dr, perc), Christian Muthspiel (cond, composition, musical director).

Was mir beim erneuten Anhören dieser Aufnahmen, die im Porgy & Bess inmitten der Pandemie „live ohne Publikum“ entstanden sind, auffällt, ist die Deutlichkeit der Referenzen der Kompositionen zu den Titeln derselben. Namensgebung scheint bei vielen Stücken anderer Kollegen wie zufällig oder nur vom Komponisten selbst nachvollziehbar. Hier erschaffen Instrumente – ein jeweils sechsköpfiger Holz- und Blechbläsersatz, zwei Schlagwerke, zwei Bassistinnen und ein Klavier – ganz ohne Worte Klangwelten, die vom Untergang des blauen Planeten erzählen.

Homecoming, übrigens der einzige Tune ohne Solisten, skizziert das tiefe Gefühl, wieder Daheim zu sein. Von da an gehts bergab, durch die Zerstörung unseres Lebensraumes bis zum letzten Überlebenden, und endet mit einem Requiem.

Die „Lyrics“ übernehmen dabei die Solisten mit unantastbarer Virtuosität. Sie sind großteils eine Generation jünger als der mittlerweile ergraute Meister, aus dessen Feder alle Kompositionen und Arrangements stammen, aber sie harmonieren ganz wunderbar und haben offenbar noch Spielraum für Improvisationen.

Homecoming muss man öfter hören. Die Wucht des Tribal Dance, die Zärtlichkeit der Open Strings. In seiner Diversität liegt die Kraft dieses Albums. Da kann man sich durchaus einbilden, Spuren von Philip Glass gehört zu haben. Gewidmet hat er es den Jazzgrößen Carla Bley und Steve Swallow.

Das Orjazztra Vienna wird im Oktober auf Tournee gehen.
Infos: www.christianmuthspiel.com

Gerald Ganglbauer

C.W. Stoneking & His Primitive Horn Orchestra – Jungle Blues

King Hokum Records
Melbourne 2008

Eine Platte zu besprechen, die älter als das Baujahr meines MINI Countryman ist, gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten, aber diesem Mann gebührt eine Ausnahme. Eine Einladung in den Paddo RSL Club erinnerte mich an den Australier, der sich freut, nach der Pandemie endlich wieder auf Tournee gehen zu können. Ich bedauere zwar, dass ich den Gig in Paddington nicht sehen kann, aber dafür habe ich einen ganzen Vormittag lang YouTube Musik Videos angeschaut, wie dieses vom Titelsong der LP.

Für mich ist dieser Export from Down Under gewichtiger als die Bee Gees. Eine Mischung aus Max Raabe und Tom Waits hat auch dieser geschniegelte weiß gekleidete junge Herr eine unverkennbare Stimme anzubieten. Wenn man, wie er, im Northern Territory mit seinem Vater in einem Aboriginal Stamm aufgewachsen ist, wird man entweder Stockman (so nenen Aussies die Cowboys) oder Rockstar. Letztere Laufbahn hat C.W. Stoneking erfolgreich eingeschlagen.

C.W. Stoneking on the mountain view stage, photo by David Owen 2009

Ich kenne übrigens seinen Vater, Billy Marshall Stoneking, ein Schriftsteller und Lehrer, von dem ich einige Poems veröffentlicht habe. Billy war mit seiner Frau aus den USA eingewandert und lebte einige Zeit in Katherine, NT, wo 1974 Christopher William zur Welt kam. 1997 ging C.W. nach Melbourne, wo 2014 das bislang letzte Album, Gon’ Boogaloo, mit seinem Primitive Horn Orchestra erschien.

Jetzt ist er wieder mit der alten Band auf Tournee. Schade, dass ich ihn nicht treffen kann.

Karo Lynn – A Line In My Skin

Strays Don’t Sleep Records
VÖ: 25. November 2022

Ah, das ist eine Stimme! Strays Don’t Sleep Records können sich glücklich schätzen, eine weisse Joan Armatrading in Leipzig entdeckt zu haben. Es ist zwar nicht mehr 1982 in Birmingham, aber ein Neuling ist sie in Deutschland auch wieder nicht. Bis neue deutsche Musikerinnen und Musiker in Österreich ankommen, dauert es wie mit einer Bestellung vom OTTO Versand manchmal eben etwas länger.

„A Line In My Skin“ ist ihr drittes Album, das mit ihrer einzigartigen Stimme traurige Balladen in düsteren Klangwolken und grauen Fotografien von Antje Kröger beinhaltet. Davor war „Outgrow“ erschienen, ein viel schlichteres, beinahe fröhliches Singer-Songwriter Album. Man vermutet eine Zäsur in ihrem jungen Leben. „Are you shaking, or am I“ fragt sie und stellt fest „times transforms“, ihre Lyrics sind voll solcher Andeutungen.

Wenn du jetzt auf die Musik aus Leibzig neugierig geworden bist, das Label wird demnächst eine Single auskoppeln: „when all is still the same“ (VÖ: 26. August 2022). Auf das neue Album wirst du leider noch eine gute Weile warten müssen. Neun Tracks sind fertig gemischt, zwei sind noch in Arbeit. Karo Lynn produziert gewissenhaft und das Warten wird sich lohnen, versprochen!

„when all is still the same – gefangen in einer Endlosschleife; Gedanken, die sich im Kreis drehen und immer wieder zum selben Schluss führen. Und eigentlich ist es sinnlos, das durchbrechen zu wollen, denn egal wie sehr ich es versuche, es zieht mich nur tiefer in diesen Strudel hinein.“

Karo Lynn

Kevin Morby – This Is A Photograph

Dead Oceans
VÖ: 13.05.22

Normalerweise bespreche ich keine Singles. Dies ist eine Ausnahme, und zwar aus folgenden Gründen: Mir gefällt schon einmal das textfreie Cover und der adaequat lakonisch gewählte Titel. Mir gefällt, was ich auf der ausgekoppelten Single höre, mir gefällt auch, was es von Kevin Morby, den ich bislang noch gar nicht kannte, sonst wo zu hören gibt, und mir liegen die kompletten Lyrics des fertigen Albums vor, die mir auch gefallen.

Subjektiver gehts nicht, aber es sind nicht einmal zwei Wochen bis zum Erscheinen des kompletten Albums, dann kann sich der geneigte Hörer seinen eigenen Reim darauf machen.

Singer/Songwriter gibt es zuhauf in jedem Städtchen, so auch im schönen Tennessee, jenem US-Bundesstaat, den Kevin Morby seine Heimat nennt, doch er sticht heraus wie eine Moonblume allein durch diesen einen Song, denn, so unterschiedlich er auch interpretiert werden kann, die Sonne geht immer wieder auf.

A RANDOM ACT OF KINDNESS

Out of time,
Out of time, out of money
Out of time, out of money, honey

Out of lust
Out of lust, out of trust
Out of lust, out of trust for the sky above my head

Sun came up, through my hands Sun came up, with no plan
Sun came up, strike up the band

Out of grace
Out of grace, out of style
Out of grace, out of style, can you sit a little while?

Out of dreams, in my head,
So it seems the nightmares will greet me at my bed

Shut me up, if you can
Shut me up, take my hand
Shut me up, be a friend, through a random act of kindness

Out of town
Out of town for a moment
Out of town for a moment, I’ll be back tomorrow

Out of sight, out of nowhere Out of sorrow, out of thin air Out of touch, out of spite Out of loneliness

Out of soldiers in the moonlight
Casting shadows, twirling dancers
Across their bodies, across the water, across the universe

Lift me up, by my hand
Lift me up if you can
Lift me up, be my friend, through a random act of kindness, one that’s done from blindness

Sun came up

Song by Kevin Morby, published by Kevinmorby (ASCAP) administered by Kobalt Songs Music Publishing

Kevin Morby © Chantal Anderson 

In Wien wird er jedenfalls bei seinem Konzert am 11. Juli 2022 im WUK beweisen müssen, dass die Vorschusslorbeeren berechtigt waren.

Gerald Ganglbauer

Spinifex – Beats The Plague

trytone
Amsterdam 2021

Mit Spinifex, diesen lästig-spitzen Grasbüscheln, habe ich vorwiegend in Western Australia Bekanntschaft gemacht. Die Samenkugelchen sind überall und Thongs schützen nicht davor, weshalb ich mir gut vorstellen kann, dass das Corona Virus keine Chancen hat, in dem heiß-trockenen Klima zu überleben. Und wenn es doch einen Versuch wagt, bläst ihm das holländische Sextett mit diesem Lockdown-Album den Gar aus.

Kein Vergleich, keine Ähnlichkeit, oder doch? Spinifex in Amsterdam und Spinifex in Western Australia (Photograph by Hesperian, Wikimedia CC BY-SA 3.0)

Nach drei Coronabedingten Terminverschiebungen waren sie dann doch laut und sehr lebendig im Grazer Stockwerk zu erleben. Mit sechs Mann auf der kleinen Bühne wurde es zwar etwas gedrängt, Jasper Stadhouders quälte seine Gitarre in nur einer Armlänge Abstand zu mir und dem energiegeladenen Philipp Moser, dessen Schlagzeug allein schon die halbe Bühne verschlang. Wir sahen uns regellrecht in die Augen. Diese intime Nähe regte an, mit den Musikern zu kommunizieren, was ich auch tat, wenn ich gerade nicht mit meinem (vorübergehend notwendigen) Gehstock auf den Boden dreschte. Die Ohren schepperten, obwohl Bläser und Schlagwerk ohne Strom auskamen. Es war mitreissend.

In zwei Sets ließen Spinifex das begeisterte Publikum wissen, wie die Pest zu schlagen sei. Mit tracks wie „The Voice Of Dust And Trash“, „Fuck The Pest“ oder „Sex And Pestilence“ bekamen wir musikalische Anleitungen, mit dieser fucking Pandemie zu leben. Alle sechs brachten sich mit kraftvollen Soli ein und diese europäische Mischung aus Musikern überzeugte mit großem Können und experimentellem Einsatz, obwohl keiner von ihnen jemals in Australien war und Spinifex gesehen hat.

Web: spinifexmusic.nl

Gerald Ganglbauer

Köhder – Köhder

Cooks Records
Graz 2021

Ich hörte die Band live im tube’s, dem kleinen Jazzclub, der die benachbarte ehemalige Generalmusikdirektion zu ersetzen versucht. Der Venue mag vielleicht irreführend sein, denn KÖHDER ist eine Grazer Indie Rockband. Seit ihrem hier vorliegenden selbst betitelten Debütalbum und als Warmup für „Bilderbuch“ nicht mehr gänzlich unbekannt, basteln die vier Mannen bereits an einem zweiten Album.

KÖHDER sind Valentin Aigner am Bass, Florian Köhler Gesang und Gitarrre, Raphael Meinhart am Schlagwerk und der vielseitige Bernhard Neumaier, Posaune und diverse Tasten. Damit wird mir klar, warum mir zwei der Gesichter so bekannt vorkamen. Des Sängers Brotberuf ist Schauspieler am Grazer Schauspielhaus, den Schlagzeuger kenne ich als virtuosen Marimba-Spieler aus der Postgarage.

25. März 2022

Eine Rockband also, die zur Hälfte prominent besetzt ist und deutschsprachige Lieder entbietet, die allesamt von Florian Köhler getextet und komponiert wurden. Nur ein Schauspieler kann sich so viel schrägen Text merken und mit geübter Stimme rezitieren. Der Zuhörer ist manchmal überfordert, denn leider findet man keine Lyrics zum Mitlesen.

Die Lieder sind ausgetüftelt von Bernhard Neumaier mit produziert, rhythmisch dank Raphael Meinharts präzisem Beat, der auch seine Marimba einspielt, und das Album Artwork ist von Valentin Aigner, womit jeder der Vier sein Schärflein zum KÖHDER Debüt beigetragen hat. Die vier auf der CD Hülle abgebildeten älteren Herren sind es jedenfalls nicht. Scherzkekse.

Eure Väter?!

1zu1 – ehrlich

ATS Records
Molln 2022

Das Album des Linzer Duos wurde mir digital zur Besprechung geschickt. Es kam zu einer Zeit, wo es tagtäglich Releases nur so regnete, weshalb es etwas liegen blieb. Als ich es öffnete, war darin nur einer von 14 Titeln, aber der interessierte mich ausreichend, um es auf einem Tonträger zu bestellen.

Doch wer sind 1zu1? Gudrun Rubini und „St. Ananas“ zeichnen für alle Songs verantwortlich, mit musikalischen Helfern nur auf den Tracks „zuhause“ (Harald Zuschrader, Mitbegründer von „Eela Craig“, von der Band hab ich zwei LPs) und „wíe der wind“ (Ronald Iraschek alias Ronnie Urini und Christian Brand). Diese minimalistische Besetzung sagt einiges, wie auch die Liebe für Pseudonyme.

Die Künstler selbst nennen „Sex, Rock und Liebe“ als die Zutaten zu ihrer Musik und ich kann mir vorstellen, dass Zuhörer bei einigen Songs durchaus guten Sex haben könnten. 1zu1 geben aber zu, dass das Album auch Spuren von Moral und Kritik enthalten könne. Welchen Reim soll man sich darauf machen? Hören wir also rein.

Solider Pop Rock ist das Genre, die Lyrics sind auf Deutsch und würden ein Leaflet vertragen, weil sie manchmal verwaschen klingen. „lass dich doch küssen“ ist eine Anleitung zu Oralsex und ein guter bonking-song / l’amour hatscher. „ich bin ich“ wird etwas schneller und rockiger. „zuhause“ hat Schlager Qualität und kann mit leichter Schräglage auch am Wirtshaustisch gegrölt werden. „halt mich“ ist endlich eine moralische Manifestaion: halt mich fest und lass nicht los … nie wieder, nie wieder, nie wieder.

„motorbootverbot“ erinnert entfernt an eine Verschmelzung von Kurt Gober mit Peter Weibel. Die besten Songs sind schon geschrieben, behauptet der 6. Track. Darauf folgen in unterschiedlichsten Ausführungen weitere Nummern, bis „ehrlich“ nach einem schönen Südseetraum abrupt mit einem digitalen Weckruf verstummt.

Nun will auch ich ehrlich sein. Radioplay und Plattenverkauf wird wohl bescheiden ausfallen, aber ohne das Duo zu kennen kann ich mir sehr gut vorstellen, dass 1zu1 gut und gern live Konzerte in Oberösterreich spielt und dort seinen Fanklub findet.

Moritz Weiß – Vocal Klezmer Sounds

Preiser Records
Wien, 2021

Moritz Weiß, Georg Kroneis, Stefan Steinhauser, Maximilian Kreuzer und Momentum Vocal Music

Der Klarinettist Moritz Weiß gilt als der Inbegriff von steirischem „Klezmer“, den er mit seinem Trio in jiddischer Tradition, durchmischt von contemporären Experimenten sehr lebendig darbietet. Dieses Album fällt aus der Reihe, greift es doch auf die mittelalterliche Musik der Hildegard von Bingen zurück. Ein derartig multikulturelles Oratorium bekommt man selten zu hören, obwohl mir Musiker einfallen, auf die man durch unkonventionelle Kollaborationen aufmerksam wurde. Jan Garbarek sei erinnert mit Officium, einer Fusion von Jazz mit Gregorianischem Gesang. Ähnlich geheimnisvoll mutet diese 54:55 lange Komposition in drei Sätzen an, die vor allem durch die Stimmen von Momentum Vocal Music verzaubert.

Ursprünglich bezog sich der Begriff klezmer auf die Musiker. Erst seit der Wiederbelebung dieser Musik in den USA in den 1970er Jahren wird der Begriff zur Bezeichnung der musikalischen Stilrichtung verwandt. Bis dahin wurde diese Musik zumeist „jiddische“ Musik genannt. Unter Klezmer versteht man vorwiegend instrumentale Musik. Daher ist „Vocal Klezmer Sounds“ eine Ausnahme mit Seltenheitswert. Kein Lebender weiss, wie sich „Alte Musik“ anhörte, man kann sich nur aus Überlieferungen und den Instrumenten der Zeit eine vage Vorstellung davon machen. Dem künstlerischen Leiter Simon Erasimus scheint das gelungen zu sein.

Die Besetzung: Moritz Weiß – Klarinette, Komposition, Georg Kroneis – Viola da Gamba, Stefan Steinhauser – Gitarre, Maximilian Kreuzer – Kontrabass, Momentum Vocal Music – Stimmen.

Gerald Ganglbauer

Opus – Magnum

Opus Music Publishing
Gratwein-Straßengel 2020

Rund 40 Jahre nach „Eleven“ erscheint wieder ein substantielles Album des steirischen Erfolgsunternehmens.

„Mit unserem 16. Werk, einem einerseits kreativen Future-Ausblick und einem andererseits mit vielen emotionalen Erinnerungen verbundenen History-Rückblick wollen wir uns nach 40 Jahren von der Rock & Pop-Album-Szene verabschieden,“ schreiben die vier Mannen im aktuellen Doppelalbum, wobei ich mich frage, wo die anderen Platten geblieben sind, die mit ihrem Debütalbum „Daydreams“ (1980) und der bis heute unübertroffenen LP „Eleven“ (1982) den typischen Opus-Sound festgelegt haben. In der Hauptsache war es der hohen Stimmlage des 1979 per Inserat gefundenen Lead Singers Herwig Rüdisser zu verdanken.

On the Road to Austria Rock

1973 gründete der Ex-Sängerknabe Walter Bachkönig eine Garageband mit Ewald Pfleger und Kurt René Plisnier und die spielten landauf landab das Burgenland und die Steiermark. 1977 war ich im Schlosspark von Kohfidisch beim ersten großen dreitägigen und völlig verregneten Open Air Festival, dort sind Opus noch in der Urbesetzung aufgetreten. Zum von Opus 1978 selbst organisierten Austria Rock Festival in Pinkafeld nahm ich schon ein paar Freunde im Renault 12 mit. Wir teilten uns den Sprit aber fuhren den Tank dennoch leer und schliefen im Acker bis die Tankstelle aufsperrte. Nach der Matura studierte ich Verfahrenstechnik an der TU um die Welt zu retten. Beim Besuch aller erreichbaren Jazz, Rock, Blues und Folk Festivals lernte ich unter anderen Bands auch Opus aus nächster Nähe kennen. Die unkonventionelle Lebensart der Musiker fand ich sehr attraktiv, weshalb ich von der Technik an die Uni wechselte um Kulturjournalist zu werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mit 18 der Rockmusik auf der Spur

1984 gelang Opus dann mit „Live is Life“ eher zufällig ein Welthit, den die Spatzen auch heute noch überall von den Dächern pfeifen und der Jahr für Jahr ein schönes Sümmchen an Tantiemen beschert. Geld hat offenbar träge gemacht. Nach einer mit Outzeiten durchlöcherten Periode und Alben, an die sich nicht mehr viele erinnern, weil jeder bei der Erwähnung der Band automatisch „Na – na, na – na – na, all together now“ im Ohr hat, ist ihnen mit „Magnum“ wieder ein sehr solides Album gelungen. Vielleicht hat die Pandemie gedrängt, an die Altersvorsorge zu denken.

Tonight At the Opera Stimme und Moderation Herwig Rüdissser
Mastermind Ewald Pfleger und Tastenguru Kurt René Plisnier

Aber zurück zu „Magnum“. Während sich in 40 Jahren meines Lebens die Welt nicht nur geografisch mehrmals verändert hat, hören sich die neuen (FUTURE) Opus fast so an wie die alten (HISTORY) Opus. Ich hatte die Band für gut 20 Jahre aus dem Radar verloren. Auch der Großteil der Fans beim letzten Konzert in der Grazer Oper war etwa im Alter rund um die Pensionierung, wie Herwig Rüdisser in seiner launigen Moderation feststellte. Gibt es keine Evolution im Austropop? Stirbt die Generation mit dem Retrosound in einer sich verdünnenden „Opusphere“ (Titel Track 1) langsam aus?

Paul Pfleger beim Goodbye Concert 2021

Das wird wohl erst die nächste Generation beantworten können. Ewald Pflegers Nachwuchs ist ein gutes Beispiel. Hören wir also zu, wie Paul in die Zukunft rockt.

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