Morak – Leben frisst rohes Fleisch

Hoanzl Records
Wien 2018

Schade, dass Franz Morak just an dem Tag der Eröffnung des Grand Hotel Abyss (steirischer herbst) in seiner Heimatstadt Graz im Dom im Berg gastierte. Ich hätte mir das mittlerweile 73-jährige Chamäleon nur allzu gern angeschaut. Lange war vom Burgschauspieler nichts mehr zu hören, lange her, dass er eine Funktion als ÖVP Staatssekretär in der Bundesregierung innehatte (25 Jahre), noch länger (40 Jahre), dass ich zu seinen Liedern tanzte (ausflippte, wie das damals hieß) und unbedingt nach Mozambique wollte.

Ich wär so gern in Mozambique
wo die bunten Papageien
und Mademoiselles in Karamell
schrill ihre Liebe schrein

(Mozambique, 1980)

Ich bin dann doch nicht nach Mozambique geflogen (mein Leben ging andere Wege), aber ich konnte mich an jedes Wort seiner Lyrics erinnern, als ich in Ermangelung eines Konzerteindruckes seine alten LPs auflegte und bei seinem Wiener Label die neue CD bestellte, auf die ich sehr neugierig war. Drei Tage später läutete stürmisch die Klingel. Das Paket von Hoanzl Records war da: ein Vinyl Album!

Zwischen diesen Platten liegen rund 4 Jahrzehnte

Die schwarze Scheibe musste sofort auf den Plattenteller. Einmal, zweimal querhören, was so aussergewöhnlich daran ist, dass ein Rocksänger mit 70 noch eine Platte macht. Ich hab mir extra eine alte TV Show angeschaut, wo er zu Gast bei Phettberg war, um zu behirnen, was diesen Franz Morak antreibt. In den 80-ern war seine Musik wichtig für die Selbstdarstellung auf der Tanzfläche. Je wilder der freie Tanz, je mehr Tanzboden man mit seinen Sprüngen eroberte, desto mehr Aufmerksamkeit erhielt man von den Mädels. Und wenn man dann noch bei „Ich bin so einsam, ich könnte schrein“ mitsang, ging man sicher nicht alleine nach Hause. Er muss auch einsam gewesen sein, der Franzi als zarter Junge, dem so verrückte Worte in den Sinn kamen, die ein aufstrebender Tastenkünstler namens Peter Wolf saftig eingerockt hat.

Das war damals, aber was kann diese Scheibe heute? Er ist kein Leonard Cohen, der im Grab noch gut klingt, auch kein Klaus Nomi, der vor seinem frühen Tod alles gegeben hat. Er ist nur zehn Jahre älter als ich und dennoch so anders. Ein bisschen wie Boris Bukowski vielleicht, aber die theatererprobte Stimme wird brüchig. Die andere Hürde einer Besprechung seines Albums ist das fehlen jeglicher Stilrichtung. Die Texte sind zwar alle von Morak, schön seine Rezitation „Im Anfang oder die Krokodile des Dow“, aber Christian Kolonovits, ein weiteres Urgestein des Austropop, hat mit seinen Kompositionen, von Liedern, Balladen, Hip-Hop und Disko bis zum aktuellen 10-er Jahre Pop alle und keine Richtung eingeschlagen. Ich behauptete schon zuvor, dass Morak ein Chamäleon ist, viel bunter als seine schwarze Zwischenzeit. Was er wohl seither gemacht hat?

In meiner Plattensammlung, wie in fast jeder der Baby-Boomer, sind „Schizo“ (1980) und „Sieger sehen anders aus“ (1983) zu finden, wegweisend, kritisch, spöttisch, tanzbar … wird „Leben frisst rohes Fleisch“ bei der heutigen Jugend auch auf ihre Playlists kommen? Digital natürlich, denn wer ausser DJs dreht denn noch Platten um? Ich glaube nicht. Die Tiere aus diesem Zoo hinterlassen keine Spuren, er hat kein Mitleid mit den Wölfen, weiß auch nicht, warum er noch so fröhlich ist, das fragten sich schon viele, aber die Ratten verlassen das Schiff noch nicht, das wussten The Base bereits 2013.

nur auf diesem
großen weißen schiff
[…]
is keine einzige miese
kleine beschissene
ratte zu sehen
oder?

(Ratten)

Oversexed and underfucked ist ein „It-Girl“ in einem von wenigen englischsprachigen Songs. Aber schon in der gesprochenen Einführung „Im Anfang oder die Krokodile des Dow“ erfahren wir den wahren Grund der Schöpfung: das liebe Geld.

und er schuf den menschen nach seinem bilde
und er schuf ihm ein weib und alles brot und alle spiele
und viele viele krokodile

(Im Anfang oder die Krokodile des Dow)

Warum Krokodile? Es reimt sich einfach trefflich auf alle Spiele. Klischees, die irgendwie aber doch nicht abgelutscht sind, weil er sie verdreht oder den Kontext ändert. Die Würfel sind gefallen, alea iacta est.

Aha soso jaja.

Dennoch: ich mag sein Aufbegehren im hohen Alter, wenn man sich auf den Abgang vorbereitet und noch schnell ALLES machen will, sein Leben zusammenräumt und die ganze Bucket-List erledigt. Mir geht es so ähnlich mit meinen Zeitschriften, Büchern und dem Album mit den Duetten. Ich werde Franz Morak fragen, ob er nicht eines oder zwei auf dem „Volume Two“ mit mir aufnehmen will.

´

Info www.franzmorak.at

Simon Fanta – Eigenmarke

redpmusic
Wien 2019

Als „Premium Quality German Rap“ preist der virtuelle Sticker das zweite (nach „Amsterdam“) digitale Album des noch ganz jungen Wiener Hip-Hop Musikers an. Nicht mein Genre, aber ich höre neugierig rein und bin ganz überrascht.

„Eigenmarke“ ist auch für meine Generation (Baby-Boomer) hörbar und sehr aufschlussreich. Denn für Simon Fanta sind schon die „Zero’s“ historisch, als man noch CDs auflegte und nicht gern allein war. Die Labels wollten Gangster-Rap, die Rapper „Gold and Chicks“. All das ist heute out und wird in den frischen Texten mit viel Ironie begraben. Trotzdem ist man nicht gern allein, Mädels aufreissen und sich trennen unumgänglich … hm, war das in den 70ern denn anders … bloß heute gibts „YouPorn, aber der macht auch nicht mehr geil“. Und „es wird weiter gehen“, Respekt, immerhin man macht sich auch Gedanken für „irgendwann“, viel später, in der Rente.

Ein Wort noch zum gegenwärtigen Konsumverhalten (der Jugend). Music und Music Videos sind untrennbar verknüpft, weshalb ein Besuch bei www.simonfanta.com dringend anzuraten ist.

Wolf Prayer – Echoes Of The Second Sun

Barhill Records
Berlin 2019

Die Fotografie der drei bärtigen Herren erinnert mich an eine Sandsteinwand in Südaustralien, aber wie mir die Fotografin (und Co-Songwriter) Lisa Brehe-Krokowski bestätigt, sei das Foto in der Pfalz an einem kalten Tag im Januar irgendwo im Pfälzer-Wald vor einer Felswand entstanden.
Aber auch den Namen der Band assoziiere ich mit Wolfmother, auch wenn ich gar nicht so vertraut mit deren Œuvre bin, um musikalische Parallelen zu suchen.

Jan Sprengard, Tim Hansen und Matthias Schorr sind jedenfalls Berliner in klassischer Rockband-Besetzung – Gitarre/Gesang, Bass, Schlagzeug – und haben vermutlich nie mit den seit beinahe 20 Jahren erfolgreichen Kollegen aus Erskineville (meiner alten Nachbarschaft in Sydney) zusammen gespielt.

Der Wolf als mythisches Symbol ist jedenfalls beiden gemein, sogar das Echo der zweiten Sonne könnte aus der südlichen Hemisphere kommen. Aber egal, da die Lyrics nirgends zu finden sind, können sie nicht solches Gewicht haben. Indianische Mythologie wird am ehesten noch im Artwork von Timur Khabirov ausgedrückt.

Wolf Prayer | Foto: Lisa Brehe-Krokowski

Alternative Rock ist das Handwerk der Musiker, das zu beherrschen sie mit ihrem Debütalbum 51 Minuten lang ausführlich demonstrieren. Mit verzerrter Gitarre, einer Stimme die ein Rudel Wölfe herbeilocken könnte und auch manchmal wie Andrew Stockdale klingt, einem Bass den man im Bauch spürt und harten Schlägen auf die Trommelfelle. Das erwartet man auch von Stoner Rock oder ähnlichem Retrosound bis dann mit „According To The Rule“ ein überraschend sanftes Stück den „Krach“ unterbricht. Beim zweiten Durchhören fiel mir bei „Shapeshifter“ auch Dancing With Wolves ein.

Wäre interessant, die Jungs live zu erleben. Im Moment touren sie durch Deutschland und vielleicht rocken sie auch mal in meinen Gefilden.

Band Info: www.wolfprayer.de

The Halo Trees – Antennas to the Sky

Winter Solitude
Berlin 2019

„Time And Tide Wait For No Man“, die erste EP des Berliner Outfits blieb im Vorjahr unter meinem Radar, doch das Debüt-Album „Antennas to the Sky“ erreichte und berührte mich. Vielleicht, weil ich zuerst dachte, Matt Berninger zu hören, dessen Bariton mir schon seit Jahren vertraut ist. Man könne sogar glauben, Sascha Blach, Songwriter und Kopf des Quartetts, versuche sich in einer Imitation des Stils von The National, die er selbst neben Nick Cave und anderen  als Vorbild bezeichnet.

Wie auch immer, bewusst oder unbewusst, die Parallelen sind nun einmal gegeben und die Musik der in den Himmel gerichteten Antennen wird dann interessant, wenn sie eigene Signale zurück sendet.

Unterstützt wird der Bandleader dabei mit der Stimme von Kathrin Bierhalter, die auch Gitarre und Violine einbringt, Serdar Uludag am Bass und Stefan Helwig am Schlagzeug.

Das Artwork der CD (auch als LP und Download zu haben) entspricht der Musik, die meist monoton und dunkel ist, melancholisch wie Berlin und das Ergebnis von drei Jahren im (eigenen) Tonstudio darstellt.

Band Website: The Halo Trees

Badhoven – All the World’s a Fake

ATS Records
Molln 2019

Badhoven machen seit über 20 Jahren soliden (Retro-)Rock mit englischen Lyrics, haben in Graz eine kleine aber feine Fangemeinde aus Heavymetalrockfans in meinem Alter, aber sind international kaum bekannt. Rammstein machen seit über 20 Jahren soliden deutschsprachigen (Industrial-)Rock, haben weltweit Millionen meist jugendlicher Fans und bespielen die großen Bühnen der Welt vom Madison Square Garden in New York bis zum Big Day Out in Australien (wo ich sie 2008 live erlebt habe). Ein unfairer Vergleich?

Badhoven haben zu ihren Hits low-budget Videos gemacht, die nett sind aber niemand vom Hocker reissen, Rammstein haben provokante Minifilme in Hollywood Qualität zu ihren Liedern gedreht, von Computer generierten Bildern in Dante’s Inferno über einen Dicke verarschenden Auftritt in Fettanzügen bis zu „Deutschland“, in dem überhaupt alle Klischees der Deutschen Nation überspitzt werden, und schließlich zu einer Afrika-Reise im jüngsten Clip „Ausländer“. Wieder ein unfairer Vergleich?

Badhovens Lead Singer Kurt Christian ist ein höflicher, gut aussehender Mann mit einer großartigen Rockröhre, der keinen Wert auf eine schrille Lightshow legt. Rammsteins Till Lindemann macht auf häßlich und inszeniert sich auf der Bühne mit brachialer Gewalt und viel Feuer und Flamme in einer einzigartigen Show, von der man noch lange spricht. Dabei hat er eigentlich keine gute Singstimme, sondern einen tiefen, mit dem „R“ rollenden Sprechgesang.

Der geneigte Leser weiß mittlerweile, worauf ich hinaus will. Badhoven sind brave Jungs – davon zeugt allein schon eine ganze Seite Danksagungen, Rammstein böse Kerle – die aber dafür die große Kohle machen.

Soweit die etwas ausschweifende Einführung zum Melodic Hardrock der fünf Grazer, mit denen mich eine Freundschaft verbindet, seit wir zusammen zwei Nummern für die „Parkinsong Duets“ aufgenommen haben, die auch auf ihrem neuen Album als Bonustracks zu finden sind.

Mario Pohn, Gerd Sojka, Kurt Christian, Gerald Ganglbauer, Flo Verant und Gerhard Paar

Ich bin mit Rockmusik aufgewachsen, also mit Krautrock, Psychodelic Rock, Symphonic Rock, lange bevor aus dem Headbanging „Tanzmetall“ (Eigenbezeichnung Rammsteins) wurde. Mir bedeuten diese Schubladen eigentlich nichts, denn meine Kriterien sind viel einfacher: Entweder drehe ich auf – oder ab.

Badhoven spiele ich laut. Womit alles gesagt ist, denn für Details wie die coolen Gitarrensoli von Mario Pohn (2021 ebenbürtig ersetzt durch Günter Schablas), den treibenden Bass von Flo Verant, den geilen Retrosound von Gerhard Paar an den Keys, oder die Drumstick-Akrobatik des Schlagzeugers Gerd Sojka bin ich zu befangen.

„All the World’s a Fake“ (der Titel ist inspiriert von der steigenden Zahl von Fake News) ist definitiv ein hörenswerter Stream oder Download für Rockfans. Auch zu haben als CD im 6-seitigen DigiPak mit der Grafik von Andy Gangl.

Bandseite: badhoven.com

Nature – Walk the Edge

FabSoud Records
Wien 2019

nature (kleinschreibung) ist eine ganz junge Band aus Wien, die ich noch nie gehört, gesehen, geschweige denn gekannt habe – und dennoch versuche ich mich an einem kleinen Hinweis, weil mir deren Debüt Single „Walk the Edge“ gefällt.

Österreich ist in der Tat begnadet mit grossen Söhnen (und Töchtern, selbstverständlich) und diese jungen Herren Michael Burger (Vox), Andy Liu (Git), Rich Messner (Bass), und Mathias Holzner (Drums) zählen mit ihrem Erstling schon jetzt zu jener Kategorie.

Der Pressetext spricht von „Rock Pop vom Feinsten, der unter die Haut geht“, jedoch müssen die Newcomer am 8. Mai  im WUK (Wien) mit einem Konzert erstmal den Beweis antreten, dass das weit auch weit über die 04:17 des ersten Songs hinausgeht. Danach kann der Download losgehen.

Photography by Ben Leitner

The National – I Am Easy To Find

4AD records
London 2019

Wenn man eine Band sehr mag, den sanften Bariton des Leadsingers Matt Berninger sofort erkennt, so manche Lyrics mitbrummt und den typischen schrägen Bam-bam-beat des Schlagzeugers Bryan Devendorf mitklopft, tut man sich schwer, ein neues Album ganz objektiv zu besprechen. Um es vorweg zu nehmen, beim ersten Anhören hat es mich sogar irritiert. Das stark auf die Stereokanäle links/rechts akzentuierte düdel-di-düdel-di-duit des Openers „You Had Your Soul With You“ (auch als Single-Auskoppelung) macht mich echt nervös.

Aber zunächst sei die weitere Besetzung des Familienbetriebes erwähnt, obwohl das für Kenner der Band hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Bryans  Bruder Scott Devendorf bedient den Bass und die Brüder Aaron und Bryce Dessner so ziemlich alle anderen Instrumente. Die beiden notieren auch die Kompositionen, die Texte und Melodien stammen aus der Feder von Matt Berninger, Carin Besser und Mike Mills.

Ich stelle mir vor, dass es vom „Trouble Will Find Me“ Album über „Sleep Well Beast“ bis zum vorliegenden „I Am Easy To Find“ nicht schwergefallen war, die Brotkrumen aufzuheben. Das achte Album klingt anfangs eben wie ein Mix bekannter Soundmodule, bis zur Überraschung:

Duette!

Jede Menge davon und in verschiedenster Besetzung bis hin zum Brooklyn Youth Chorus. Allen voran „Oblivions“ mit der Stimme von Mina Tindle, „The Pull Of You“, mit Lisa Hannigan und Sharon Van Etten, „Hey Rosey“, mit Gail Ann Dorsey (die auch auf anderen Tracks gefeatured wird) und einer Vielzahl  fremder Gesänge. „I Am Not in Kansas“ ist eine sehr schöne Verknüpfung mit „Noble Experiment“ in dem gleich drei Stimmen zugezogen werden, nämlich Gail, Lisa und Kate, das einzige nicht aus der Feder der Band. „So Far So Fast“ ist alles andere als fast. Langsame, ruhige Tunes dominieren das Album, wie der Soundtrack zum Film mit Alicia Vikander, die auch das Covermodel ist. Im Titelsong wird von Matt von Kate Stables begleitet. Die Liste der Begleitmusiker ist zu lange um sie alle hier zu zitieren.

Es wundert mich nun nicht mehr, dass Matt nicht auf meine Einladung zu „Parkinsong Duets“ eingegangen ist. Ein bissl geärgert hat es mich zwar, aber die vielseitigen Kollaborationen in diesem Album entschädigen dafür. Mit zwanzig Jahren Bandgeschichte sind „The National“ sicherlich schon in einer höheren League.

Bandseite: American Mary

Paul Plut – Lieder vom Tanzen und Sterben

Im Vorfeld hatte es beinahe den Anschein, dass ich zu alt werde, um über Livekonzerte zu berichten. Auch Paul, den ich seit seinen frühen Schreien mit VIECH in der Papierfabrik kenne und schätze, schien vor dem Konzert reserviert. Er hatte meine Nachricht nicht gelesen, dass ich ihn treffen wollte, daher war ich für den Konzertbeginn viel zu früh dort. Zu allem Überdruss oder vielleicht in Wechselwirkung mit der körperlichen Anstrengung, die eine abendliche Fahrt ohne Begleitung in die Stadt samt nächtlicher Heimreise zum Ursprung erzeugte, war ich gerade kraftlos im OFF. Scheiss Parkinson.

Aber Kraft brauchte es nicht, um mit allen Sinnen den zarten Passagen von Paul Pluts „Liedern vom Tanzen und Sterben“ zu folgen. In den Aussparungen zwischen den rauh geflüsterten Worten und manch schrägen Tönen des Verzerrers seiner Gitarre hat er „in Teifi gsehn im Tram“ und reflektiert suizide Gedanken. Darüber hätte ich ihm noch gerne ein paar Fragen gestellt. „Wir san nur Fleisch/ Wir san sunst nix/ Oba damit nit aloa“ singt er an anderer Stelle und meint, dann nur in die Hände klatschen zu müssen um Obersteirisch zu statuieren: „Wir hobn koa Ongst“.

Obwohl manchmal Erinnerungen an Neil Young in „Dead Man“ (1995) evoziiert werden, ist das nicht die (Film-)musik eines Untoten, sondern die eines jungen Mannes, der keine Angst mehr vor dem Teufel hat. Bei Texten wie „Heiliger Vota, valoss mi jetz nit“ sich aufdrängenden „Gretchenfragen“ wie: „Bist du gläubig?“ nimmt er die Antwort schon in der Überleitung mit einem „Nein!“ vorweg. Und nach dem Konzert ist er wieder ganz das freundliche „Landei“ wie er sich sellbst bezeichnet, steht hinter der Merch(andise) und signiert eifrig CDs und (jetzt neu) auch Schallplatten.

Obwohl die „Lieder vom Tanzen und Sterben“ für mich eine Neuerscheinung sind, war Paul Plut in verschiedenen Besetzungen mit dem Programm schon seit 2016 zwischen Südtirol und Norddeutschland unterwegs. Der deutsche Sprachraum ist eben nicht größer. Dabei würde ich gern ein zweisprachiges Duett mit ihm aufnehmen. Schließlich ist er mit „VIECH“ schon auf all meinen Buchtrailers. Als CD ist das Album übrigens schon 2017 erschienen, als LP  gerade erst bei dem jungen Hamburger Label Chateau aero.

Zum Abschluss eine Hör- und Sehprobe vom Konzert: Ein Ausschnitt aus „Grat“. Kudos an Torsten Schmid für die sensible Lightshow.

Alles weitere: paulplut.com

High Brian – Brian Air

StoneFree Records
Graz 2019

Paul Berghold, der Drummer der Band, begrüßt mich backstage im p.p.c. wie einen alten Bekannten. Der Grazer ist nicht nur für das Schlagzeug zuständig, sondern auch für das Meet ’n‘ Greet aller Gäste der Album Release Show. Ganz im Stil einer Airline folgt die junge Band den Vorgaben ihres Konzeptalbums „Brian Air“, dem Nachfolger des Debüts vor zwei Jahren. Ich muss zugeben, dass ich High Brian bis dato nicht geortet hatte, freue mich aber, dass sich das nun wie im Flug geändert hat.

Paul hatte die Bandmitglieder – Benedikt Brands, Gitarrist, Sänger und Komponist aus Hamburg, Nils Meyer-Kahlen, Lead Gitarrist mit Heimatstadt Stockholm und Patrick Windischbauer, Bassist aus Linz,  jeder von ihnen ist Brian – während des Toningenieur-Studiums an der TU-Graz kennen gelernt. Sie spielten einige Jahre in einem Proberaum im Keller der Papierfabrik (wo mir auch schon Saint Chameleon, Downlovers und VIECH über den Weg gelaufen sind) dann machten die Vier, die sich den Beatles und Beethoven (Ludwig van, nicht Badhoven) verwandt fühlen, “Hi Brain” (2017) und klingen darauf wie Wolfmother, meine Landsleute aus Down Under. Ich habe dieses Album nicht gehört um den Vergleich bestätigen zu können.

Doch zurück zum Abflughafen: “Brian Air – not the safer, but the higher way to fly”, behauptet die Plattenfirma und ich will dem Zitat gerne glauben, in Bezug auf die jüngsten Flugzeugabstürze. Musikalisch etwas mehr “psychedelic Rock” (im Sinne des Sergeant-Pepper-Albums) wird auch behauptet, läßt sich aber schwer nachprüfen, da der Gesang im Live-Konzert kaum zu verstehen ist und den Tonträgern LP und CD in limitierter Auflage kein Booklet mit den Texten beiliegt.

Ich muss mir nach dem Live-Erleben erst noch die Studioversion ein paarmal anhören. Mich haben sie zeitweise an Wishbone Ash erinnert, aber das ist lange, sehr lange her. Nett fand ich zwischen den acht Songs die gelegentlichen Ansagen des Flugkapitäns und erwähnenswert auch das Set mit den Konturen eines Jets aus programmierten Lichtbändern.

Aber das Geilste wäre ein Rooftop Konzert. Nicht nur eines wie es viele Bands von den Beatles bis zu The Base schon gespielt haben, sondern als Brian Air Crew vor der Boeing 727 am Dach des Novapark Hotels.

Die Band legt übrigens Wert auf den Umstand, dass sie mit diesem Album kommerzielle Luftfahrt nicht unterstützt. Folglich müssten sie für eine USA Tournee in zwei Jahren auf der “HMS Brian” über den Atlantik. Schiff ahoi!

VIECH – Heute Nacht nach Budapest

VIECH ist eine heimische Band, deren Entwicklung ich seit 2011 interessiert verfolge. Mit ihrem aktuellen dritten Album sind die Grazer Spuren des Band Co-Gründers Andreas Klinger, der nach Leipzig gezogen ist, völlig verweht und Paul Plut bringt seine Stimme konsequent ein und klingt so heiser, dass man sich Sorgen um seine Stimmbänder macht. Der Titelsong ist radiotauglich wie seinerzeit der „Steuermann“ und kommt ohne Brüllen aus, auch wenn sich der unverwechselbare Paul bald wie Tom Waits anhört.

Die Lyrics sind anspruchsvoll wie immer, „Ich wär so gern eine Straßenbahn, dann wärs OK im Kreis zu fahren“ und kommen aus der kollektiven Feder der Band. VIECH ist eine meiner Lieblingsbands,  denn ihre klugen Texte rocken sich in dem Herzschlag genehmen Beats durch die Tunes. „Im Sand“ ist beispielsweise so eine geniale Nummer, aber macht euch selbst ein (Hör-)Bild der Band, der auch Martina Stranger ihre Stimme leiht, seit sie in Wien sind. Ich freu mich jedesmal, wenn ich VIECH im Radio höre und hoffentlich auch wieder einmal LIVE treffe.

Paul Plut und Christoph Lederhilger bin ich zu Dank verpflichtet, dass ich ihre Musik in meinen Buchtrailern verwenden darf. „Ich hab viele Fehler gemacht“ (Heute Nacht nach Budapest) stellt beispielsweise die Neuauflage des Gangan Lit-Mag vor und hat schon einige meiner Leser zu VIECH-Fans gemacht.

Die mobile Version verlassen