Das Leben eines Musikjournalisten wird durch präzise Schubladisierung ganz erheblich erleichtert. Laut Pressetext handelt es sich um einen „Shoegazer“, und schon weiß man alles über dieses Album Debüt. Eventuell läßt man sich beim ersten Durchlauf irritieren, ob es nicht doch Noisepop oder gar Post-Punk sei, aber das Album führt melodisch und nostalgisch zurück in die 80-er Jahre. War das damals Dream Pop, Indie oder gar Grunge? Ein gut informierter Kenner der Genres weiss damit alles (und nichts) über dieses Duo aus Philadelphia und ich kann mir weitere Worte sparen. Ich würde dennoch empfehlen, das Album anzuhören und Schubladen dabei geschlossen zu halten. „We didn’t set out for this to be a concept album but there is definitely a theme within the lyrics”, schreibt Bandleader Shane Handal. “We wanted to be honest and wrote what was real to us. It just so happened we both were going through a lot at the time we were writing the album. It’s weird to throw yourself out there to the world and be so vulnerable but it felt honest and real. We wanted to put out a genuine record from the music to the lyrics.“ Also, seid nett zu den Jungs, sie sehen zwar aus wie metalhead „Bad Boys“, aber haben auch schon viel durchgemacht.
Schade, dass Franz Morak just an dem Tag der Eröffnung des Grand Hotel Abyss (steirischer herbst) in seiner Heimatstadt Graz im Dom im Berg gastierte. Ich hätte mir das mittlerweile 73-jährige Chamäleon nur allzu gern angeschaut. Lange war vom Burgschauspieler nichts mehr zu hören, lange her, dass er eine Funktion als ÖVP Staatssekretär in der Bundesregierung innehatte (25 Jahre), noch länger (40 Jahre), dass ich zu seinen Liedern tanzte (ausflippte, wie das damals hieß) und unbedingt nach Mozambique wollte.
Ich wär so gern in Mozambique wo die bunten Papageien und Mademoiselles in Karamell schrill ihre Liebe schrein
(Mozambique, 1980)
Ich bin dann doch nicht nach Mozambique geflogen (mein Leben ging andere Wege), aber ich konnte mich an jedes Wort seiner Lyrics erinnern, als ich in Ermangelung eines Konzerteindruckes seine alten LPs auflegte und bei seinem Wiener Label die neue CD bestellte, auf die ich sehr neugierig war. Drei Tage später läutete stürmisch die Klingel. Das Paket von Hoanzl Records war da: ein Vinyl Album!
Die schwarze Scheibe musste sofort auf den Plattenteller. Einmal, zweimal querhören, was so aussergewöhnlich daran ist, dass ein Rocksänger mit 70 noch eine Platte macht. Ich hab mir extra eine alte TV Show angeschaut, wo er zu Gast bei Phettberg war, um zu behirnen, was diesen Franz Morak antreibt. In den 80-ern war seine Musik wichtig für die Selbstdarstellung auf der Tanzfläche. Je wilder der freie Tanz, je mehr Tanzboden man mit seinen Sprüngen eroberte, desto mehr Aufmerksamkeit erhielt man von den Mädels. Und wenn man dann noch bei „Ich bin so einsam, ich könnte schrein“ mitsang, ging man sicher nicht alleine nach Hause. Er muss auch einsam gewesen sein, der Franzi als zarter Junge, dem so verrückte Worte in den Sinn kamen, die ein aufstrebender Tastenkünstler namens Peter Wolf saftig eingerockt hat.
Das war damals, aber was kann diese Scheibe heute? Er ist kein Leonard Cohen, der im Grab noch gut klingt, auch kein Klaus Nomi, der vor seinem frühen Tod alles gegeben hat. Er ist nur zehn Jahre älter als ich und dennoch so anders. Ein bisschen wie Boris Bukowski vielleicht, aber die theatererprobte Stimme wird brüchig. Die andere Hürde einer Besprechung seines Albums ist das fehlen jeglicher Stilrichtung. Die Texte sind zwar alle von Morak, schön seine Rezitation „Im Anfang oder die Krokodile des Dow“, aber Christian Kolonovits, ein weiteres Urgestein des Austropop, hat mit seinen Kompositionen, von Liedern, Balladen, Hip-Hop und Disko bis zum aktuellen 10-er Jahre Pop alle und keine Richtung eingeschlagen. Ich behauptete schon zuvor, dass Morak ein Chamäleon ist, viel bunter als seine schwarze Zwischenzeit. Was er wohl seither gemacht hat?
In meiner Plattensammlung, wie in fast jeder der Baby-Boomer, sind „Schizo“ (1980) und „Sieger sehen anders aus“ (1983) zu finden, wegweisend, kritisch, spöttisch, tanzbar … wird „Leben frisst rohes Fleisch“ bei der heutigen Jugend auch auf ihre Playlists kommen? Digital natürlich, denn wer ausser DJs dreht denn noch Platten um? Ich glaube nicht. Die Tiere aus diesem Zoo hinterlassen keine Spuren, er hat kein Mitleid mit den Wölfen, weiß auch nicht, warum er noch so fröhlich ist, das fragten sich schon viele, aber die Ratten verlassen das Schiff noch nicht, das wussten The Base bereits 2013.
nur auf diesem großen weißen schiff […] is keine einzige miese kleine beschissene ratte zu sehen oder?
(Ratten)
Oversexed and underfucked ist ein „It-Girl“ in einem von wenigen englischsprachigen Songs. Aber schon in der gesprochenen Einführung „Im Anfang oder die Krokodile des Dow“ erfahren wir den wahren Grund der Schöpfung: das liebe Geld.
und er schuf den menschen nach seinem bilde und er schuf ihm ein weib und alles brot und alle spiele und viele viele krokodile
(Im Anfang oder die Krokodile des Dow)
Warum Krokodile? Es reimt sich einfach trefflich auf alle Spiele. Klischees, die irgendwie aber doch nicht abgelutscht sind, weil er sie verdreht oder den Kontext ändert. Die Würfel sind gefallen, alea iacta est.
Aha soso jaja.
Dennoch: ich mag sein Aufbegehren im hohen Alter, wenn man sich auf den Abgang vorbereitet und noch schnell ALLES machen will, sein Leben zusammenräumt und die ganze Bucket-List erledigt. Mir geht es so ähnlich mit meinen Zeitschriften, Büchern und dem Album mit den Duetten. Ich werde Franz Morak fragen, ob er nicht eines oder zwei auf dem „Volume Two“ mit mir aufnehmen will.
Auflegen, zurücklehnen und Augen zu. Das Album ist beste Filmmusik fürs Kopfkino!
Die zweite CD des Kölner Quartetts macht uns erst nur die sichtbare weiße Spitze des Eisbergs hörbar, aufgenommen aus der Luft, vielleicht von einer Drone, dann lassen die vier Polarforscher Arnd Finke (drums), Hennes Ernst (guitar), Dominik Hornung (bass) und Johannes Schreiter (guitar) die Hörer klamm vor Kälte im Polarmeer schweben, im verborgenen, und nein, ich möchte kein Eisbär sein, im kalten Polar. Wir können nur vermuten, dass sich ein Großteil des Eises in der Dunkelheit befindet, die zu durchdringen eine Stimme nicht imstande wäre.
„Handgemacht“ ist das Debütalbum der Wiener Liedermacherin Daniela Flickentanz, und handgemacht auch die einfache, schöne Musik, mit der die Künstlerin vornehmlich über die Liebe nachdenkt.
Handgemacht ist auch das Crowdfunding der CD und Danielas persönliches Marketing. Interessant, welche Wege sich einer jungen Künstlerin heutzutage öffnen. CD-Präsentation 25.9.19 um 19.00 im Theater Arche, Wien.
„Das Einzigartige an der Short Story ist, dass wir alle eine erzählen, leben, niederschreiben können“, schrieb Christina Stead, die australische Romanschriftstellerin. Nachzulesen in Michael Wildings Einführung zu Air Mail from Down Under, einem Band voller Kurzgeschichten, erschienen vor vielen Jahren in einer anderen Welt. Aber Geschichten lassen sich nicht nur am Lagerfeuer weiter erzählen. Zur litarischen Ausdrucksform gesellt sich beispielsweise Ausdruckstanz, den schon Urvölker wie die Aborigines praktiziert haben, bis zur Musik, wie jener des jungen deutschen Pianisten Thilo Seevers, der stolz auf eine Ausbildung an der Grazer Kunstuni zurückblicken darf.
Sein Ensemble, zu dem die großartigen Musiker Ivar Roban Krizic (Bass) und David Dresler (Schlagwerk) zählen, hat mit „Story Telling“, Anfang 2018 schon das zweite Jazz Album aufgenommen, wobei er mir persönlich bisher nur als Keyboarder bei Luka Sulzers Saint Chameleon bekannt war.
Ich hatte im Generalihof Gelegenheit, mich mit ihm zu unterhalten und zumindest ein halbes Konzert bis zum urplötzlich im zweiten Set einsetzenden Regenguss live zu erleben – und es bis unter die Haut zu genießen.
Die wertvollen Instrumente mussten schnell ins Trockene gebracht werden, und auch ich musste das Verdeck meines Cabrios rasch schliessen. Als Trost gab es für die zahlreichen Besucher CDs zu erwerben, die das Open Air Konzert digital vervollständigten.
Vielleicht höre ich ihn auch bei einem Saint Chameleon Auftritt, deren Debütalbum „Mockingbird“ (auch vom Vorjahr) mir bisher noch nicht unter die Finger gekommen ist. Dabei kenne ich die Band schon seit fünf Jahren und vielen Gigs. Auch gut. Ich werde allenfalls berichten.
Die Fotografie der drei bärtigen Herren erinnert mich an eine Sandsteinwand in Südaustralien, aber wie mir die Fotografin (und Co-Songwriter) Lisa Brehe-Krokowski bestätigt, sei das Foto in der Pfalz an einem kalten Tag im Januar irgendwo im Pfälzer-Wald vor einer Felswand entstanden.
Aber auch den Namen der Band assoziiere ich mit Wolfmother, auch wenn ich gar nicht so vertraut mit deren Œuvre bin, um musikalische Parallelen zu suchen.
Jan Sprengard, Tim Hansen und Matthias Schorr sind jedenfalls Berliner in klassischer Rockband-Besetzung – Gitarre/Gesang, Bass, Schlagzeug – und haben vermutlich nie mit den seit beinahe 20 Jahren erfolgreichen Kollegen aus Erskineville (meiner alten Nachbarschaft in Sydney) zusammen gespielt.
Der Wolf als mythisches Symbol ist jedenfalls beiden gemein, sogar das Echo der zweiten Sonne könnte aus der südlichen Hemisphere kommen. Aber egal, da die Lyrics nirgends zu finden sind, können sie nicht solches Gewicht haben. Indianische Mythologie wird am ehesten noch im Artwork von Timur Khabirov ausgedrückt.
Alternative Rock ist das Handwerk der Musiker, das zu beherrschen sie mit ihrem Debütalbum 51 Minuten lang ausführlich demonstrieren. Mit verzerrter Gitarre, einer Stimme die ein Rudel Wölfe herbeilocken könnte und auch manchmal wie Andrew Stockdale klingt, einem Bass den man im Bauch spürt und harten Schlägen auf die Trommelfelle. Das erwartet man auch von Stoner Rock oder ähnlichem Retrosound bis dann mit „According To The Rule“ ein überraschend sanftes Stück den „Krach“ unterbricht. Beim zweiten Durchhören fiel mir bei „Shapeshifter“ auch Dancing With Wolves ein.
Wäre interessant, die Jungs live zu erleben. Im Moment touren sie durch Deutschland und vielleicht rocken sie auch mal in meinen Gefilden.
„Time And Tide Wait For No Man“, die erste EP des Berliner Outfits blieb im Vorjahr unter meinem Radar, doch das Debüt-Album „Antennas to the Sky“ erreichte und berührte mich. Vielleicht, weil ich zuerst dachte, Matt Berninger zu hören, dessen Bariton mir schon seit Jahren vertraut ist. Man könne sogar glauben, Sascha Blach, Songwriter und Kopf des Quartetts, versuche sich in einer Imitation des Stils von The National, die er selbst neben Nick Cave und anderen als Vorbild bezeichnet.
Wie auch immer, bewusst oder unbewusst, die Parallelen sind nun einmal gegeben und die Musik der in den Himmel gerichteten Antennen wird dann interessant, wenn sie eigene Signale zurück sendet.
Unterstützt wird der Bandleader dabei mit der Stimme von Kathrin Bierhalter, die auch Gitarre und Violine einbringt, Serdar Uludag am Bass und Stefan Helwig am Schlagzeug.
Die Band posiert vor Berliner Ikonen
Fotos:: Yvonne Brasseur, Berlin
Das Artwork der CD (auch als LP und Download zu haben) entspricht der Musik, die meist monoton und dunkel ist, melancholisch wie Berlin und das Ergebnis von drei Jahren im (eigenen) Tonstudio darstellt.
Badhoven machen seit über 20 Jahren soliden (Retro-)Rock mit englischen Lyrics, haben in Graz eine kleine aber feine Fangemeinde aus Heavymetalrockfans in meinem Alter, aber sind international kaum bekannt. Rammstein machen seit über 20 Jahren soliden deutschsprachigen (Industrial-)Rock, haben weltweit Millionen meist jugendlicher Fans und bespielen die großen Bühnen der Welt vom Madison Square Garden in New York bis zum Big Day Out in Australien (wo ich sie 2008 live erlebt habe). Ein unfairer Vergleich?
Badhoven haben zu ihren Hits low-budget Videos gemacht, die nett sind aber niemand vom Hocker reissen, Rammstein haben provokante Minifilme in Hollywood Qualität zu ihren Liedern gedreht, von Computer generierten Bildern in Dante’s Inferno über einen Dicke verarschenden Auftritt in Fettanzügen bis zu „Deutschland“, in dem überhaupt alle Klischees der Deutschen Nation überspitzt werden, und schließlich zu einer Afrika-Reise im jüngsten Clip „Ausländer“. Wieder ein unfairer Vergleich?
Badhovens Lead Singer Kurt Christian ist ein höflicher, gut aussehender Mann mit einer großartigen Rockröhre, der keinen Wert auf eine schrille Lightshow legt. Rammsteins Till Lindemann macht auf häßlich und inszeniert sich auf der Bühne mit brachialer Gewalt und viel Feuer und Flamme in einer einzigartigen Show, von der man noch lange spricht. Dabei hat er eigentlich keine gute Singstimme, sondern einen tiefen, mit dem „R“ rollenden Sprechgesang.
Der geneigte Leser weiß mittlerweile, worauf ich hinaus will. Badhoven sind brave Jungs – davon zeugt allein schon eine ganze Seite Danksagungen, Rammstein böse Kerle – die aber dafür die große Kohle machen.
Soweit die etwas ausschweifende Einführung zum Melodic Hardrock der fünf Grazer, mit denen mich eine Freundschaft verbindet, seit wir zusammen zwei Nummern für die „Parkinsong Duets“ aufgenommen haben, die auch auf ihrem neuen Album als Bonustracks zu finden sind.
Ich bin mit Rockmusik aufgewachsen, also mit Krautrock, Psychodelic Rock, Symphonic Rock, lange bevor aus dem Headbanging „Tanzmetall“ (Eigenbezeichnung Rammsteins) wurde. Mir bedeuten diese Schubladen eigentlich nichts, denn meine Kriterien sind viel einfacher: Entweder drehe ich auf – oder ab.
Badhoven spiele ich laut. Womit alles gesagt ist, denn für Details wie die coolen Gitarrensoli von Mario Pohn (2021 ebenbürtig ersetzt durch Günter Schablas), den treibenden Bass von Flo Verant, den geilen Retrosound von Gerhard Paar an den Keys, oder die Drumstick-Akrobatik des Schlagzeugers Gerd Sojka bin ich zu befangen.
„All the World’s a Fake“ (der Titel ist inspiriert von der steigenden Zahl von Fake News) ist definitiv ein hörenswerter Stream oder Download für Rockfans. Auch zu haben als CD im 6-seitigen DigiPak mit der Grafik von Andy Gangl.
Wenn man eine Band sehr mag, den sanften Bariton des Leadsingers Matt Berninger sofort erkennt, so manche Lyrics mitbrummt und den typischen schrägen Bam-bam-beat des Schlagzeugers Bryan Devendorf mitklopft, tut man sich schwer, ein neues Album ganz objektiv zu besprechen. Um es vorweg zu nehmen, beim ersten Anhören hat es mich sogar irritiert. Das stark auf die Stereokanäle links/rechts akzentuierte düdel-di-düdel-di-duit des Openers „You Had Your Soul With You“ (auch als Single-Auskoppelung) macht mich echt nervös.
Aber zunächst sei die weitere Besetzung des Familienbetriebes erwähnt, obwohl das für Kenner der Band hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Bryans Bruder Scott Devendorf bedient den Bass und die Brüder Aaron und Bryce Dessner so ziemlich alle anderen Instrumente. Die beiden notieren auch die Kompositionen, die Texte und Melodien stammen aus der Feder von Matt Berninger, Carin Besser und Mike Mills.
Ich stelle mir vor, dass es vom „Trouble Will Find Me“ Album über „Sleep Well Beast“ bis zum vorliegenden „I Am Easy To Find“ nicht schwergefallen war, die Brotkrumen aufzuheben. Das achte Album klingt anfangs eben wie ein Mix bekannter Soundmodule, bis zur Überraschung:
Duette!
Jede Menge davon und in verschiedenster Besetzung bis hin zum Brooklyn Youth Chorus. Allen voran „Oblivions“ mit der Stimme von Mina Tindle, „The Pull Of You“, mit Lisa Hannigan und Sharon Van Etten, „Hey Rosey“, mit Gail Ann Dorsey (die auch auf anderen Tracks gefeatured wird) und einer Vielzahl fremder Gesänge. „I Am Not in Kansas“ ist eine sehr schöne Verknüpfung mit „Noble Experiment“ in dem gleich drei Stimmen zugezogen werden, nämlich Gail, Lisa und Kate, das einzige nicht aus der Feder der Band. „So Far So Fast“ ist alles andere als fast. Langsame, ruhige Tunes dominieren das Album, wie der Soundtrack zum Film mit Alicia Vikander, die auch das Covermodel ist. Im Titelsong wird von Matt von Kate Stables begleitet. Die Liste der Begleitmusiker ist zu lange um sie alle hier zu zitieren.
Es wundert mich nun nicht mehr, dass Matt nicht auf meine Einladung zu „Parkinsong Duets“ eingegangen ist. Ein bissl geärgert hat es mich zwar, aber die vielseitigen Kollaborationen in diesem Album entschädigen dafür. Mit zwanzig Jahren Bandgeschichte sind „The National“ sicherlich schon in einer höheren League.
Im Vorfeld hatte es beinahe den Anschein, dass ich zu alt werde, um über Livekonzerte zu berichten. Auch Paul, den ich seit seinen frühen Schreien mit VIECH in der Papierfabrik kenne und schätze, schien vor dem Konzert reserviert. Er hatte meine Nachricht nicht gelesen, dass ich ihn treffen wollte, daher war ich für den Konzertbeginn viel zu früh dort. Zu allem Überdruss oder vielleicht in Wechselwirkung mit der körperlichen Anstrengung, die eine abendliche Fahrt ohne Begleitung in die Stadt samt nächtlicher Heimreise zum Ursprung erzeugte, war ich gerade kraftlos im OFF. Scheiss Parkinson.
Aber Kraft brauchte es nicht, um mit allen Sinnen den zarten Passagen von Paul Pluts „Liedern vom Tanzen und Sterben“ zu folgen. In den Aussparungen zwischen den rauh geflüsterten Worten und manch schrägen Tönen des Verzerrers seiner Gitarre hat er „in Teifi gsehn im Tram“ und reflektiert suizide Gedanken. Darüber hätte ich ihm noch gerne ein paar Fragen gestellt. „Wir san nur Fleisch/ Wir san sunst nix/ Oba damit nit aloa“ singt er an anderer Stelle und meint, dann nur in die Hände klatschen zu müssen um Obersteirisch zu statuieren: „Wir hobn koa Ongst“.
Obwohl manchmal Erinnerungen an Neil Young in „Dead Man“ (1995) evoziiert werden, ist das nicht die (Film-)musik eines Untoten, sondern die eines jungen Mannes, der keine Angst mehr vor dem Teufel hat. Bei Texten wie „Heiliger Vota, valoss mi jetz nit“ sich aufdrängenden „Gretchenfragen“ wie: „Bist du gläubig?“ nimmt er die Antwort schon in der Überleitung mit einem „Nein!“ vorweg. Und nach dem Konzert ist er wieder ganz das freundliche „Landei“ wie er sich sellbst bezeichnet, steht hinter der Merch(andise) und signiert eifrig CDs und (jetzt neu) auch Schallplatten.
Obwohl die „Lieder vom Tanzen und Sterben“ für mich eine Neuerscheinung sind, war Paul Plut in verschiedenen Besetzungen mit dem Programm schon seit 2016 zwischen Südtirol und Norddeutschland unterwegs. Der deutsche Sprachraum ist eben nicht größer. Dabei würde ich gern ein zweisprachiges Duett mit ihm aufnehmen. Schließlich ist er mit „VIECH“ schon auf all meinen Buchtrailers. Als CD ist das Album übrigens schon 2017 erschienen, als LP gerade erst bei dem jungen Hamburger Label Chateau aero.
Zum Abschluss eine Hör- und Sehprobe vom Konzert: Ein Ausschnitt aus „Grat“. Kudos an Torsten Schmid für die sensible Lightshow.